
Am Freitag, 12. Juli 2024, stürzte in 61jähriger Ungar vor den Augen seines Sohnes vom stark frequentierten Intersport-Klettersteig am Donnerkogel (Gosau am Dachstein) in den Tod. Der Blitz hatte in den Klettersteig eingeschlagen, der Vater hatte sich kurz davor ausgehängt. Bei diesem Unglück sind wieder zahlreiche Fehler in der Planung passiert, wodurch man das tragische Ereignis hätte vermeiden können.
Der Klettersteig
Beim Intersport-Klettersteig handelt es sich um einen C/-D-Klettersteig mit einer 40 Meter langen „Himmelsleiter“, die eine tiefe Schlucht quert. Das ist ein schwieriger, sehr ausgesetzter Klettersteig. Dem Polizeibericht ist zu entnehmen, dass der 25jährige Sohn am Klettersteig erfahren, der Vater jedoch Anfänger war.
Das war der erste Fehler: Als Anfängerklettersteig ist dieser zu schwer und man musste grundsätzlich mehr Zeit einplanen.

Der Klettersteig ist leicht zu erreichen, über den Sessellift vom Vorderen Gosausee auf die Gablonzer Hütte. Er gilt als ziemlich überlaufen. Das war der zweite Fehler, erst mittags in einen überlaufenen Klettersteig einzusteigen.
Der Klettersteigverlauf.

Vater und Sohn sind mittags von der Zwieselalm gestartet. Sie wussten, dass eine Schlechtwetterfront mit Gewittern durchziehen würden, rechneten nach ihren Angaben aber erst gegen 15 Uhr damit. Als reine Kletterzeit sind 3 Stunden angegeben, insgesamt 4-5 Stunden bis zum Ausgangspunkt (Bergstation Seilbahn). Das war der dritte Fehler: Selbst mit dem Eintreffen der Gewitterfront um 15 Uhr wäre sich die ganze Runde niemals ausgegangen.
Wie man dem Steigverlauf entnehmen kann, hält er sich im ersten Teil an der Ostseite des Kleinen Donnerkogels (1916m) und somit völlig ohne Sicht nach Westen. Ins Gewitter kamen sie dann in der Scharte unterhalb der Himmelsleiter – wo es bereits zu spät war. Das war so gesehen der vierte Fehler – eine Kletterroute ohne freie Sicht in jene Richtung zu nehmen, aus der die Gewitter aufziehen würden, und das ist in Mitteleuropa nun mal in der Mehrzahl der Fälle der Westen.
Es gibt eine Webcam auf der Zwieselalm – leider lässt sich für die Archivzeiten kein Bild nach Westen extrahieren. Vom Hunerkogel etwas weiter östlich sah das Bild „mittags“ aber nicht sehr freundlich aus:

Südlich von Schladming sah man von der Reiteralm-Webcam am Horizont bereits den aufliegenden Stratus durch den einsetzenden Gewitter-Niederschlag im Westen.

Die Wettermodelle
Ich hab mir die Wettermodelle vom Freitagmorgen angeschaut (die „00 UTC-Läufe“, die um Mitternacht gerechnet werden und 6 Stunden später abrufbar sind). Die wichtigsten Wettermodelle rechneten alle schon vor 15 Uhr erste Niederschlagssignale im Dachsteingebiet:
- EZWMF hatte bereits um 12 Uhr erste Signale
- GFS rechnete sogar ab 10 Uhr schon ein deutliches Übergreifen, GFS ist oft Grundlage für Wetter-Apps am Smartphone
- Das ICON rechnete spätestens ab 14 Uhr vorlaufende Gewitter
- Das hochaufgelöste ICOND2 zeigte zwischen 13 und 14 Uhr übergreifende Starkregen-Zellen
Nun ist mir natürlich klar, dass man von Laien nicht erwarten kann, direkten Modell-Output („DMO“) von den Wettermodellen anzusehen, aber die Wetter-Apps basieren auf den Wettermodellen und sollten – eigentlich – abbilden, wenn Niederschlagssignale gerechnet werden. Es bleibt daher unklar, wie sie zu der Einschätzung gelangt sind, dass erst ab 15 Uhr Gewitter aufziehen sollten.
Der Wetterablauf
Die Alpennordseite hatte zunächst noch die schwächere Region der Gewittercluster. Über Norditalien gab es verbreitet Hagel bis 9cm Größe und Orkanböen.

Bereits rund zwei Stunden vor dem Aufbruch (links) auf der Zwieselalm zeigte das Wetterradar mehrere große Gewittercluster mit den stärksten Echos an der Alpensüdseite und einem mäßigen bis starken Niederschlagsbereich an der Alpennordseite. Um den Aufbruch herum setzte schon beinahe der Niederschlag an. Der Himmel wird sich also schon deutlich verfinstert haben.

Zwischen 12 und 13 Uhr entstanden dann im großflächigen Niederschlagsbereich an der Vorderkante neue, kräftige Gewitterzellen. Um 13.15 Uhr muss das Gewitter schon über ihnen gewesen sein, um 13.30 Uhr, als sie „vom Gewitter überrascht“ wurden, waren sie schon mittendrin.

Zum mutmaßlichen Zeitpunkt des Unglücks befanden sich die beiden bereits hinter den stärksten Echos, aber noch mitten in der Gewitterlinie. Der Notarzt-Hubschrauber ortete den 25jährigen gegen 15.15 Uhr – zugleich der einzige Zeitpunkt, wo es nahezu niederschlagsfrei war, ehe von Südwesten her ein schwächerer Regenbereich nachfolgte und die Sichtlücke sich wieder schloss.
Insgesamt brachte die Gewitterfront am Freitag laut privatem Wetterdienst Ubimet rund 196 000 Entladungen, ein Rekordtag für das Jahr 2024. Die Gewitter enthielten aufgrund der energiereichen Luftmasse einen enormen Gehalt an unterkühltem Flüssigwasser – Voraussetzung für blitzreiche Gewitter. Die Wahrscheinlichkeit, vom Blitz getroffen zu werden, ist dann deutlich größer als bei einer kühleren Luftmasse oder einer schmalen Gewitterlinie, die rasch durchzieht und überwiegend Wolkenblitze erzeugt.

In den Satellitenbildern sieht man bereits um 12 Uhr, wie der weit ausladende Amboss-Cirrusschirm das Dachsteingebiet überdeckt. Um 13 Uhr, also noch rund eine halbe Stunde vor der angeblichen „Überraschung“ sollte auch die tiefe Bewölkung aufgezogen sein. Um 14 Uhr waren sie bereits an der Rückseite der Gewitterlinie, aber noch inmitten der großräumigen-Clusterlinie, weswegen der Hubschrauber nicht starten konnte. Auch für die Bergretter eine lebensgefährliche Situation bei der enormen Blitzdichte.
Laut Blitzradar gab es um 12.55 Uhr MESZ die ersten Blitzeinschläge unmittelbar südlich des Klettersteigs. Den Donner sollte man wahrgenommen haben. Bis 13.10 Uhr MESZ hatte sich die Blitzaktivität deutlich intensiviert intensiviert. Die letzten Blitze wurden um 14.20 Uhr MESZ registriert.
Interpretation des Wetterablaufs:
Großräumig hatte sich die Gewitterlinie bis zum Start der beiden auf der Zwieselalm über ganz Salzburg aufgebaut und wäre über eine Radar-App wie Windy oder kachelmannwetter klar ersichtlich gewesen. Rein optisch war es laut den Webcambildern um 12 Uhr schon recht finster Richtung Westen, mit tiefen Wolkenfetzen darunter. Nach den Radar- und Blitzdaten setzte das Gewitter früher ein als im Polizeibericht angegeben, und zwar rund 20-30min vorher.
Wie man so eine Situation vermeiden kann:
- Kenne deine eigenen Fähigkeiten! Vorsicht vor Selbstüberschätzung! Für einen Anfänger-Klettersteig sollte man einen niedrigeren Schwierigkeitsgrad, z.B. A/B wählen!
- Plane genügend Zeitreserven ein! Gerade als Anfänger dauert es oft, bis man die Technik intus hat, sich kontinuierlich sichern, richtig steigen, Kraft sparen, Überhänge meistern, besonders ausgesetzte Stellen. Bei einem überlaufenen Klettersteig kommt es mitunter zu längeren Wartezeiten.
- Gewitter kommen selten genau um Punkt! Wenn eine Schlechtwetterfront vorhergesagt wird, immer einen Spielraum einbauen, sie kommen manchmal früher, manchmal später – es sind durchaus 2-3 Stunden Abweichung möglich, weil auch vorlaufend zur Gewitterfront kräftige Gewitterzellen entstehen können. Ebenso kann die allgemeine Zugrichtung abweichen.
- Vertraue nicht auf die Wetterapps, sondern beobachte aufmerksam den Himmel! Wenn das Himmelsbild auf eine kontinuierliche Verschlechterung hindeutet (z.b. Gipfel werden eingehüllt, Wolkenuntergrenze sinkt weiter ab, vorlaufende Wolkenfetzen, Wolkenwalzen), besser absteigen bzw. einen sicheren Unterschlupf suchen. Weitere Anzeichen können auflebende Winde, fallender Luftdruck (Sportuhr) und Donnergrollen in der Ferne sein.
- Achte auf eine freie Sicht zum Himmel bei Gewitterlagen! Wenn eine Gewitterfront aus Westen angekündigt ist, sollte man eine realistische Tour planen, bestenfalls in einem Gelände, das nach Westen offene Blicke erlaubt und rasche Rückzugsmöglichkeiten einplanen, z.B. zu einer nahegelegenen Schutzhütte.
