Hagelschlag trifft AUA-Maschine: Zu berücksichtigende Faktoren.

ESTOFEX mit Level-3-Prognose für den Südosten von Österreich mit der primären Gefahr von Großhagel in dem Gebiet, wo die AUA-Maschine vom Hagel getroffen wurde (vollständiger Text)

Laut mehrerer Medienberichte, unter anderem vom Branchenmagazin AustrianWings, sei die Gewitterzelle im Bordradar nicht sichtbar gewesen. Die Entwicklung der Gewitterlage zeigte hingegen ein klares Bild einer isolierten Großhagelzelle, die gut im Wetterradar am Boden und im Satellitenbild sichtbar war. Laut Zeitungsberichten flog der Pilot in FL200 (6km Höhe) in das Gewitter – in dieser Höhe ist noch unterkühltes Flüssigwasser zu erwarten und damit gut sichtbarer „feuchter“ Hagel.

Über technische Störungen und „Human“ Factor will ich hier nicht urteilen. Ich beleuchte den Tag aus meteorologischer Sicht:

Wetterlage

Die Großwetterlage war bereits seit Tagen eine Westsüdwestströmung mit einem breiten Trog über Nordeuropa und einem schwachen Keil über dem Mittelmeer. Dazwischen wurde von Südwesten her in den unteren Schichten recht feuchte und schwülwarme Luft in den Alpenraum geführt. Die Isohypsen zeigen deutlich die starke Windzunahme mit der Höhe.

500 hPa Geopotential (schwarze Isolinien), relative Topographie (farbig) und Bodendruck (weiße Linien) am Sonntag, 09. Juni 2024, 06 und 18 UTC (Quelle: wetter3.de)

Am Sonntagmorgen befand sich ein Bodentief über Ungarn, rückseitig herrschte kurzzeitig eine schwach antizyklonale Nordwestströmung, die zu Stabilisierung im Osten und Südosten führte. Am Nachmittag näherte sich ein Kurzwellentrog an und vorderseitig bildete sich eine Tiefzirkulation über Südostösterreich mit starker Richtungs- und Geschwindigkeitsscherung in Bodennähe. Daraus resultierte an der Grenze vom Burgenland nach Ungarn und später über Westungarn auch ein Tornado, der Schäden an Häusern anrichtete. Alle Wettermodelle hatten dort in der Früh ein beträchtliches Tornadopotential gezeigt, daher und auch aufgrund der ESTOFEX-Prognose war die Intensität der Gewitter nicht überraschend.

Satellitenbild vom Sonntag, 09. Juni 2024, 17.35 MESZ – Der mutmaßliche Ort des Hagelschlags ist rot markiert. Zu diesem Zeitpunkt betrug die Wolkenobergrenzentemperatur -59°C (Quelle: kachelmannwetter.com)

Die AUA-Maschine kam von Mallorca und flog knapp südlich von Graz aus Südwesten über das Grazer Becken. Zu diesem Zeitpunkt herrschte dort kompakte Cirrusbewölkung aus der Ambosswolke des großflächigen Gewitterclusters über der westlichen Obersteiermark. Konvektive Zellen waren zu diesem Zeitpunkt bis zum Erreichen des Hagelgewitters nicht enthalten, wie auch ein Webcambild aus Graz zeigt. Die Flugwettermeldung Graz (LOWG) hatte um 17.20 MESZ „FEW060CB“, das heißt, eine Gewitterwolke in der Umgebung.

Satellitenbilder von 17 Uhr MESZ (rechts) und 17.30 Uhr MESZ (links) mit der eingezeichneten Flugroute, Quelle: CHMI

Die AUA-Maschine kam vom Golf von Triest und wich über dem Grazer Becken bereits einer Gewitterzelle über dem Nordosten von Slowenien aus und steuerte dann genau auf die mächtige Gewitterzelle über der Oststeiermark an der Grenze zum Burgenland zu.

Wetterballonaufstieg Zagreb, 09.06.24, 14 Uhr MESZ (kachelmannwetter.com)

Leider gibt es vom fraglichen Zeitraum keinen repräsentativen Radiosondenaufstieg. Die energiereiche Luftmasse ist am besten im Zagreber Aufstieg zu erkennen, als klassische „loaded gun“ Situation mit einer Inversion in 2-3km Höhe und enormen Labilitätswerten (> 2000 J/kg) darüber. Die gemessene Wolkenobergrenzentemperatur deutet auf Obergrenzen in 12km Höhe hin (ca. FL400, eher höher), der Hagelschlag ereignete sich somit etwa auf „halber Höhe“ in FL180-200.

Hypothese 1: Der Hagel war trocken und nicht sichtbar

Feuchter Hagel reflektiert wesentlich besser als trockener Hagel. Unglücklicherweise erkennen Bordradare trockenen Hagel wesentlich schlechter. Im Ambossbereich von Gewitterwolken überwiegen jedoch meist Eiskristalle, die schlechter reflektieren. Das trifft hier jedoch eher nicht zu, da die Flughöhe deutlich tiefer war und noch in einem Bereich, wo unterkühltes Flüssigwasser vorkommen kann (ungefähr bis FL250).

Hypothese 2: Abschwächung des Niederschlags im Bordaradar

Je intensiver der Niederschlag, desto kürzer die Distanz, die der Radarstrahl in das Gewitter hineinsehen kann. Ein Kern mit intensivem Hagel kann so durch umgebenden Starkregen verschleiert werden. Solche Abschwächungen können auch dann vorkommen, wenn das Radom am Bug durch starken Regen oder Eis beeinträchtigt wurde (Eisansatz). Das wäre zum Beispiel plausibel, wenn das Flugzeug schon davor durch eine Gewitterzelle bzw. Niederschläge geflogen wäre – was hier nicht der Fall war.

Hypothese 3: „Blind Alley“ (Wetteradar am Display-Darstellung zu stark gezoomt)

Skizze nachempfinden aus John Werth, Seattle ARTCC Center Weather Service Unit, Airborne Weather Radar Limitations

Ein weiterer Effekt, der auftreten kann, ist, wenn der Pilot den Radius seines Wetterradars am Display verkleinert, um einen Kurs zwischen den Gewitterzellen zu plotten. Diese Region wird auch als „blind alley“ bezeichnet, denn er sieht nicht, was sich am Ende seiner Reichweite abspielt. Wenn man den Radius vergrößert, läuft die Route genau in die nächste Gewitterzelle dahinter, in dem Fall etwa die schwere Gewitterzelle über Pinkafeld. Der Pilot hat durch das Bordradar nicht zwangsläufig eine bessere Sicht auf eine Gewitterzelle hat als das Personal am Boden, das diese Einschränkungen von verdeckten Gewitterzellen in der Regel nicht hat, weil etwa ein österreichweites Radar aus mehreren Radarstandorten zusammengesetzt ist und bei überregionalen Radarprodukten auch die Radarbilder der Nachbarländer miteinfließen.

Es kann dann auch von der Stärke und Technik des Bordradars selbst abhängen, wie gut der Pilot den Hagelkern ausmachen kann.

Spekulationen in den Medien

Um auf die ursprüngliche Intention dieses Blogs zurückzukommen:

„Es sei möglich, dass im Fall von Flug OS434 der Hagel für den Piloten nicht auf dem Wetterradar erkennbar war. „Hagelschauer können zum Beispiel in sehr schmalen Bändern sehr kurzfristig entstehen, dann hat man wenig Möglichkeiten, sie zu erkennen und zu reagieren. [,,,] Offensichtlich war das ein sehr kurzfristiger, aber sehr schwerer Hagelsturm, den das Flugzeug durchflogen hat,“

Wenn Piloten solche Gebiete erkennen, versuchen sie laut Experte, diese zu umfliegen – falls die Verkehrslage es zulässt. „Sie brauchen dafür eine Freigabe des Radarlotsen.“

Luftfahrtexperte Johannes Markmiller auf gmx.at (11.06.24)

Das Gewitter hatte sich bereits 30 Minuten vorher über den Fischbacher Alpen entwickelt und ist unter Verstärkung weiter ins Joglland gezogen. Von der Wetterlage her war die Verstärkung ebenso erwartet worden wie die intensiven Aufwinde und Großhagelgefahr.

Zur zweiten Aussage:

„The pilot in command of an aircraft shall have final authority as to the disposition of the aircraft while in command. ICAO Annex 2, par. 2.3. 1, specifically empowers the PIC to override any other regulation in an emergency, take the safest course of action at his sole discretion.“ (Quelle)

Überdies wird der Frage nachgegangen, ob nicht auch die Flugsicherung am Boden die Möglichkeit hatte, das Hagelunwetter zu erkennen. Sie hätte unabhängig vom Wetterradar an Bord die Piloten warnen können

DerStandard, 10. Juni 2024

Nahezu jedes Gewitter wird im Laufe seiner Lebenszeit Hagel aufweisen, manchmal schwächer, manchmal intensiver. Manche Wetterlagen fördern jedoch große Hagelereignisse, weil die Luftmasse besonders energiereich und das vertikale Windprofil besonders stark geschert ist, sodass organisierte Gewitter und freistehende Gewitter entstehen können, die dann rotieren können und besonders heftige Aufwinde entwickeln, die riesigen Hagel fördern. Dieser 9. Juni war so ein Tag und wie die obige Zusammenfassung zeigt, war das Gewitterpotential sehr gut vorhergesagt worden. Die Wettermodelle waren sich am Vormittag jedoch noch uneinig, wie rasch es gehen würde und wie viele rotierende Gewitter pro Fläche auftreten würden. Unabhängig vom Hagel sollte man in Gewitter mit Obergrenzen von 12km und höher nicht hineinfliegen. Je höher die Obergrenzen und je langlebiger die Gewitter, desto größer das Potential für sehr großen Hagel.

bei unvorhersehbaren Wettersituationen bleibe aber wenig Zeit, um etwa einer Gewitterwolke auszuweichen.

Luftfahrtexperte Kurt Hoffmann im Standard, 10. Juni 2024

Die Wettersituation war vorhersehbar. Bereits um 17 Uhr entwickelte sich die freistehende Gewitterzelle östlich des Gewitterclusters über der Steiermark. Östlich von Ungarn war der Himmel wolkenlos und das Gewitter entsprechend gut umfliegbar.

„Wenn man sich bei 600 bis 700 Stundenkilometer nur noch 50 Kilometer vor einem Gewitter befände, das sich rasant aufbaue, sei es enorm schwierig, überhaupt noch auszuweichen. „Extremwetterereignisse bauen sich immer dynamischer und schneller auf.“

Luftfahrtexperte Hoffmann im Standard, 11. Juni 2024

Ubimet-Meteorologe Steffen Dietz wird im Artikel zitiert mit

„Warum die Piloten nicht um das Gewitter herumgeflogen sind, kann Dietz nicht beurteilen, aber: „Was ich sagen kann: Das Gewitter war als solches zu erkennen. Es waren zwei Gewitterzellen, die von den Fischbacher Alpen Richtung Hartberg hinausgezogen sind. Und durch eine dieser Zellen ist der Flieger durch. Man konnte auf Flightradar mitverfolgen, dass der Pilot keine Anstalten gemacht hat, die Zelle zu umfliegen, er ist kerzengerade durch.“

Dem kann ich nur voll zustimmen.

Update 12.06.24, Zusammenfassung:

Es ist Tatsache, dass die Obergrenzen (Tops) der Gewitterwolken durch den gestiegenen Energie-Input der Atmosphäre infolge der Klimaerwärmung immer höher werden. Es mag auch stimmen, dass sie schneller intensiv werden, wenngleich sich das schwer verifizieren lässt. Das ist vor allem dann relevant, wenn gleichzeitig die Höhenwinde stark sind und organisierte/rotierende Gewitter beteiligt sind, weil diese sich über größere Gebiete ausdehnen und als Hindernis in der Flugroute dienen können. Bei wenig Höhenwind handelt es sich eher um isolierte, freistehende und gut umfliegbare Gewitter.

In diesem Fall ist es aber nicht der springende Punkt, ob das Radar an Bord den Hagel erkannt hat oder nicht. Bei Obergrenzen von FL400 und höher muss man zwingend von Hagel und teilweise schweren Turbulenzen ausgehen. Die Entwicklung des Gewitters war lange genug absehbar, um den Kurs zu ändern und nicht im Landeanflug quer durch das Gewitter zu fliegen, nämlich auch in einer Höhe, wo Hagelwachstum stattfindet und die Aufwinde am stärksten sind.

Ob für die Luftfahrt oder am Boden, Meteorologen sind sich in diesem Fall einig, dass das Unwetterpotential erkannt und gut prognostiziert wurde. Es ist zuletzt dann die Entscheidung des Piloten, wie er damit umgeht.

Hinterlasse einen Kommentar