
In diesem ORF-Artikel wurde einiges durcheinandergeworfen, was kausale Zusammenhänge, wissenschaftliche Fakten und Wunschdenken betrifft.
Die Unwetter-Schäden und Überschwemmungen in der Steiermark sind vorwiegend auf sogenannte Superzellen zurückzuführen, die stundenlang an derselben Stelle abregnen. Diese Superzellen treten immer häufiger auf und sind eine besondere Herausforderung auch für die steirischen Hagelflieger, schildert der Obmann der steirischen Hagelabwehr-Genossenschaft, Josef Mündler: „Es bilden sich momentan innerhalb von kurzer Zeit Gewittertürme, bis zu 17.000 Meter hoch. Die haben keine Zugrichtung, die bleiben stationär stehen.“
Quelle: ORF Steiermark, 18.07.24
Im Durchschnitt werden Gewitterwolken in unseren Breiten 11-12km hoch, bei großen Gewittersystemen (clusterförming, linienförmig) oder besonders heftigen Einzelzellen (Superzellen) wurden auch schon 14km beobachtet.
Gewitterwolken werden in in unseren Breiten maximal 15km hoch. Im Schnitt sind sie rund 10-12km hoch, wobei 12km bereits für heftige Gewitterzellen spricht. Der Rekord hat ein tropisches System auf dem Pazifik am 29. Dezember 2018 mit 20,5km Höhe (das entspricht Flight Level 670) aufgestellt (Proud and Bachmeier 2021). Als am 23. August 2010 in Vivian, South Dakota, ein Superzellengewitter mit 20cm Hagelkorndurchmesser einen neuen Weltrekord aufstellte, betrug die maximale Höhe der Gewitterwolke 17km! Also sorry, Gewitter Tops von FL560 habe ich in Österreich noch nicht beobachtet, geschweige denn über FL500.
Zutaten für schwere Überschwemmungen
Es braucht für schwere Überschwemmungen auch gar keine besonders hochreichenden Gewitterzellen. Manuel Oberhuber (ORF-Meteorologe, die Expertise hätte der ORF ja im Haus) erklärt die Ursachen für die wiederholten Sturzfluten und Murenabgänge:
- Der Wind ist in der Höhe sehr schwach, damit bewegen sich Schauer und Gewitter nur langsam.
- Die Luftmasse hat einen hohen absoluten Feuchtegehalt, sie stammt von der momentan bis zu fünf Grad zu warmen Oberen Adria. Wärmere Luft kann mehr Feuchte aufnehmen. Der Wetterballonaufstieg von Graz am Samstagmorgen (20.07.24) hatte einen Gehalt an „niederschlagbarem Wasser“ von 42mm, im Modell waren es teilweise bis 50mm. Im Mittel sind (waren) es um diese Jahreszeit 25-30mm.
- Die Nullgradgrenze liegt über 4000m Höhe, damit kommt es zu effizienter Bildung von „warmen Regen“

Eine hochreichend feuchte Schicht mit nicht zu viel Labilitätsenergie („skinny CAPE“) unter 1000 J/kg ist für Starkregen günstiger als hohe CAPE-Werte („fat CAPE“), weil dann der Hagelprozess verstärkt wird und Hagel logischerweise nicht in flüssiger Form fällt. Mit „skinny CAPE“ wird man aber keine Gewittertürme von 17km Höhe erreichen.
Bei „warmen Regen“ wird der Niederschlag durch Zusammenstoß und Wachstum der Regentropfen innerhalb der Wolke verursacht, während kalter Regen durch den Bergeron-Findeisen-Prozess (Kollission von Eiskristallen) angestoßen wird. Bei warmen Regen sind die Wolkenuntergrenzen meist eher tief und die Nullgradgrenze liegt höher. Durch die geringe Labilität verbleiben die meisten Hydrometeore unterhalb der Nullgradgrenze. Durch das feuchte Profil wird außerdem Verdunstung reduziert. In der Summe ist die Niederschlagseffizienz bei warmen Niederschlag also effektiver als bei kaltem, weil mehr Regentropfen produziert werden. Ab 10000ft Mächtigkeit spricht man von einer „deep warm cloud layer“ (gutes Tutorial zu diesem Niederschlagsmechanismus beim Radar & Applications Course von Jill Hardy)
Hinzu kommt das sogenannte „backbuilding“: Wenn etwa in der Höhe Südwind weht, am Boden aber die durch die Gewitter erzeugte Kaltluft sich nach Süden ausbreitet. Das ist das „Rezept“ für sich erneuernde Gewitterzellen, wie am 19. Juli über Slowenien geschehen (siehe Radarloop). Diese durchaus energiereicheren Gewitter können ebenfalls Sturzfluten auslösen, wie in Deutschfeistritz am 8. Juni 2024 geschehen.
In Summe möchte ich daher anzweifeln, dass 1. die Gewitterwolken 17km weit hinauf in die Stratosphäre reichen, 2. dass überwiegend Superzellen für die Überschwemmungen derzeit verantwortlich sind und 3. dass sich Superzellen stundenlang am gleichen Ort halten können. Superzellen sind per definition langlebig rotierende (!) Schwergewitter, die ein gewisses Maß an vertikaler Windscherung, also Zuggeschwindigkeit brauchen, um die rotierenden Eigenschaften zu entwickeln. Neben Tornados sind sie hauptverantwortlich für extrem großen Hagel. Alles über 5cm Hageldurchmesser wird in der Regel von Superzellengewittern verursacht. Derartig große Hagelkörner und „stundenlang ortsfest“ schließen sich aber aus.
Überschwemmungen können Hagelflieger jedenfalls nicht verhindern, das steht fest.
Die Technik, mit der die Hagelflieger Silberjodid in die Gewitterwolke einbringen, um den sogenannten Katastrophenhagel zu verhindern, entspricht laut Mündler dem letzten Stand.
Die Mehrheit der Experten zweifelt an der Wirksamkeit der Hagelflieger, um großen Hagel zu verhindern.
Kritisch steht der Verwendung von Hagelfliegern auch Michael Kunz vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) gegenüber. Als Meteorologe kennt er sich gut mit Gewitterwolken und deren Beschaffenheit aus. Wie er auf Anfrage schildert, fehle schlicht ein „wissenschaftlicher Nachweis“: Niemand weiß, wie sich eine Wolke verhalten hätte, wenn sie nicht geimpft worden wäre.
Augsburger Allgemeine, 28. September 2023
Das dicke Ende des Artikels kommt aber zum Schluss:
Mündler geht davon aus, dass 60 bis 70 Prozent der Hagelschäden durch diese Einsätze vermieden werden können. Der Beweis fällt allerdings schwer, auch wenn Helmut Paulitsch vom Institut für Hochfrequenztechnik an der TU Graz alle Einsätze genau dokumentiert: „Es werden alle Flugrouten aufgezeichnet. Am Ende des Jahres sehen wir dann genau, wo ist geflogen worden, wo sind Schäden aufgetreten, und aus diesen Vergleichen lässt sich ableiten, wo waren die Einsätze erfolgreich.“
Eine Erfolgsquote lässt sich laut Paulitsch nicht definieren, aber „im Großen und Ganzen sehen wir natürlich schon, dass diese Einsätze eine Wirkung haben und dass sie das Auftreten von großem Schadhagel verringern können.“
Eine Erfolgsquote lässt sich nicht definieren, aber im Großen und Ganzen sehen wir natürlich schon, dass Homöopathie eine Wirkung hat und das Auftreten von schweren Erkrankungen verhindern kann.
So ungefähr geht die Argumentation. Das ist unwissenschaftlich.
