
Am Donnerstag, 09. Jänner 2025 entwickelte sich über Frankreich und Benelux ein kleinräumiges, aber intensives Sturmtief, das in der Nacht auf Freitag, 10. Jänner, mit einer gewittrigen Kaltfront durchzog. Am Abend erfasste das Sturmfeld auch den Nordalpenraum, wo verbreitet Monats- und sogar Allzeitrekorde gefallen sind. Der synoptische Ablauf verdient natürlich eine genauere Betrachtung. Das Titelbild suggeriert bereits markante Dynamik mit einem sehr steilen Trog, der left-exit region über Österreich, der gerippten Kaltfrontstruktur mit eingebetteten Gewittern und deutlich gesunkenenen Wolkenobergrenzen der Okklusionsfront durch die Überströmung mit der Stratosphärenluft. Dazu kam noch ein starker frontrückseitiger Druckanstieg und Temperatursturz.
Die Bilanz:
- Klosterwappen (NÖ): 175 km/h
- Hochwechsel (NÖ) 155 km/h
- Rax-Bergstation (NÖ) 151 km/h (Allzeit-Rekord)
- Wien-Jubiläumswarte 139 km/h (Allzeitrekord)
- Buchbergwarte (NÖ) 137 km/h (Monatsrekord)
- Hennesteck (1334m, NÖ): 135 km/h (Lawis)
- Feuerkogel (OÖ): 135 km/h
- Wien-Arsenalturm 124 km/h
- Wiener Neustadt (NÖ) 112 km/h
- Wien-Hohe Warte, City und Unterlaa 108 km/h
- Rohrspitz (Bodensee, V): 107 km/h
Synoptische Entwicklung
Das Sturmtief entstand auf der kalten Seite des Jetstreams rückseitig der Okklusionsfront eines ausgedehnten Tiefdrucksystems über dem Ärmelkanal.

Gegen 18 UTC ist entlang der Südküste von Irland erstmals ein schmales Wolkenband mit niedrigen Wolkenobergrenzen sichtbar, was durch die Überströmung mit trockener Höhenluft entsteht.

Sechs Stunden später zeichnet sich das Interessensgebiet (weißer Kreis) schon deutlicher ab: Von Norden nähert sich ein verwellter Jetstream, dessen Scheitel genau vorderseitig der Welle ansetzt. Diese zeigt das klassische baroclinic leaf-Wolkenbild, aber aufgrund der trockenen Höhenluft und kalten Seite des Subtropenjets mit niedrigen Wolkenobergrenzen.

Der zugehörige Aufstieg, allerdings schon auf der kalten Seite der Welle zeigt die feuchte Schicht bis etwa 4000m hinauf. Darüber das stratosphärische Absinken mit sehr trockener Luft (Taupunkte unter -60°C). Die Luftmassengrenze intensivierte sich bereits, mit 5-7°C über dem Ärmelkanal und -2 bis -5°C über Wales und dem Norden von England sowie Irland.

Am Donnerstagmorgen beginnt die spannende Phase: Von Westen rückt bereits der Warmfront-Jet des Sturmtiefs über dem Atlantik nach. Über der Welle selbst liegt ein zweiter Jet (Polarfrontjet). Der langgestreckte Tiefdruckkern hat das Minimum bei 994 hPa über Nordfrankreich. Die Luftmassengrenze reicht von der Normandie bis Sachsen-Anhalt mit verbreitet 8 bis 10 Grad Temperaturdifferenz auf wenigen zehn Kilometern.

Das stratiforme (tiefe) Wolkenband nördlich des Niederschlagsbands spielt in weiterer Folge für die Zyklogenese selbst keine Rolle mehr. Es wandert zunehmend nach Süden, wird aufgelockerter und konvektiver.
Auch die Luftmasse selbst ist bemerkenswert, mit verbreitet 7 bis 11°C auf der warmen Seite der Luftmassengrenze, damit bodennah verbreitet sehr feucht über Frankreich bis in die Mitte von Deutschland.

Das Radarbild um diese Uhrzeit ist tricky, denn dort, wo die Höhenkaltluft vorhanden war, gab es keinen Niederschlag. Auf der kalten Seite der Luftmassengrenze hingegen stratiformen Niederschlag und im Warmsektor reichlich Bewölkung mit ausgedehnten, konvektiv durchsetzten Radarechos. Der Mitternachtsaufstieg von Bordeaux ist einigermaßen repräsentativ für diese süffige Luftmasse und hochreichend labil. Die Obergrenzentemperatur der konvektiven Echos lag bei -55 bis -60°C, also Tropopausenhöhe in ca. 10km.

Am Donnerstagmittag entwickelt sich erstmals klar die Wellenstruktur des neuen Sturmtiefs. Rückseitig sieht man die intensive Warmfrontjetachse vorstoßen. Das Wellensystem selbst liegt unter einem weiteren kleinräumigen Jet (jeweils weiße Balken). Damit läge theoretisch die für Shapiro-Keyser-Zyklonen typische Doppeljetstruktur vor. Typisch für das Vorhandensein eines Jetstreams ist die gerippte Struktur (Schwerewellen) an der Warmfront, eigentlich typischer für die Kaltfront.

Der Wellenscheitel liegt am mittag etwa östlich von Luxembourg. Die Kaltfront zeichnet sich von Beginn an als schmale Linie ab, die sich über mehrere hundert Kilometer durchgehend erstreckt und den Temperatursturz einleitet. Die Warmfront liegt über Mitteldeutschland. Die Okklusion wird später parallel zur Kaltfront liegen und ist hier noch nicht als solche erkennbar.

Die beiden Aufstiege zeigen die Situation postfrontal (Trappes) und im Bereich der Okklusionsfront (Essen). Sehr tiefe Taupunkte postfrontal bis 750hPa herab. Daher keine hochreichende Feuchtkonvektion rückseitig der Kaltfront. In Essen hochreichend feucht und ab 700hPa der Warmluftbauch der Okklusion. Darunter Kaltluftadvektion aus Nordost und entsprechend Schneefall.

Bis zum Donnerstagnachmittag beschleunigte die Kaltfront deutlich und wurde gleichzeitig hochreichend konvektiv. Die anfangs schmale Linie, wie sie typisch für hochreichende straight-line winds (einheitliches Starkwindprofil) ist, wurde breiter und intensiver. Die ausgemessenen Tops der Gewitter betrugen FL240 (-35°C), das war mehr als ursprünglich erwartet aufgrund der Vorhersagetemps. Nun ist die doppelte Jetkonfiguration besonders gut sichtbar. Der intensive Kaltfrontteil lag im linken Auszug des Warmfrontjets und gleichzeitig im rechten Einzug des gekrümmten Polarfrontjets über der Ostsee – doppelte Hebung also. Vorlaufend zur Kaltfront gibt es ebenfalls ein Niederschlagsband, was noch nicht die Kaltfront ist. Es kann sich daher nur um das warme Förderband handeln. Der Kerndruck liegt um 992hPa im Süden von Brandenburg.
Es kommen aber noch weitere Faktoren hinzu: Über Südwestdeutschland und im Elsass werden um 17 Uhr MEZ erstmals 100er Druckanstiege (das heißt 10 hPa in 3 Stunden) beobachtet, was auf starke frontogenetische Querzirkulation hinweist. Diese wird durch das ausgeprägte Maximum isentroper potentieller Vorticity (IPV) in der Höhe gestützt.

Das IPV-Maximum zeigt sich im Wasserdampfbild durch das „schwarze Loch“, welches sehr trockene Luft (unter 10% relative Feuchte) in der Höhe andeutet. Selten ist es allerdings so tiefschwarz wie die Nacht. Das Zentrum der Schwärze ist auf den aktivsten Teil der Kaltfront gerichtet. Die konzeptionellen Modelle passen also.
Weiß eingekastelt im oberen Satellitenbild sowie in beiden Wasserdampfbildern die nicht so augenscheinliche Position der Okklusionsfront, die sich parallel zur Warmfront entwickelt hat. Im 16 UTC Bild sieht man bereits erste schwache Radarechos, die nach Süden zogen. Die gerippte Struktur der Frontalbewölkung überdeckt den Okklusionsteil teilweise. Es handelt sich hier um die sehr tiefe Bewölkung, die unter das trockene Absinken gerät.

Interessante Konstellation der verschiedenen Bänder und Fronten um 19 Uhr Lokalzeit. Der Polarfrontjet ist weiterhin scharf gekrümmt, der Südrand der Kaltfront in der left-exit-region des Warmfrontjets. Entsprechend gibt es in beiden Hebungszonen des Jets Gewitter. Präfrontal sorgt das warme Förderband (WCB) für leichte Niederschläge und feuchtet die Grundschicht an – das könnte die Windspitzen im Flachland abseits orographischer Effekte abgeschwächt haben. Die kräftige Südströmung sorgte im Lee des Sudetengebirges für eine ausgeprägte Gebirgswelle (Mountain Wave). Unmittelbar westlich der Kaltfront schließt die umgebogene Okklusion an, die nahezu vollständig im Dryslot verschwunden ist. Erst dahinter wird die Luft etwas angefeuchtet und von der Nordsee her greifen Kaltluft-Gewitter über.

Repräsentativ für die Kaltluft-CBs ist der Mitternachtsaufstieg von Norderney , hochreichend feucht-labil bis zur Tropopause in 6km Höhe.
Über Baden-Württemberg wurden stellenweise 120er Druckanstiege beobachtet, das kommt schon eher in die Kategorie Sturmtief. Das Maximum wird um 23 Uhr Lokalzeit über dem Flachgau und Innviertel mit 12-13 hPa in 3 stunden erreicht. Infolge der guten Durchmischung mit dem starken Wind schwächte sich der horizontale Temperaturgradient über dem Alpenraum deutlich ab.

Bis Mitternacht hat die Bodenkaltfront bereits den Süden von Österreich sowie das Wiener Becken erreicht. Left exit und right entrance der beiden Jetstreams entkoppeln zunehmend, weshalb sich die Hebung an der Kaltfront abschwächt.

Im Wasserdampfbild schwächte sich das IPV-Maximum ebenfalls ab. Die Kaltfront hatte um Mitternacht keine lineare Struktur mehr. Die umgebogene Okklusion sorgte für schwache Niederschläge über Ostdeutschland bis Tschechien.

Der nächtliche Wien-Aufstieg deutet auf eine Verwellung der Kaltfront hin, mit sehr feuchter Schicht zwischen 700 und 500hPa (Warmluftdeckel). Darunter der letzte Rest der trockenen Stratosphärenluft. In der Höhe zudem Südwestströmung.
Das Maximum der Windspitzen am Alpenostrand mit verbreitet 60-80kt fällt zusammen mit einem horizontalen Druckunterschied von 12hPa zwischen Salzburg und Wien. Eine alte Faustregel besagt „pro hPa 1 Beaufort“, also Orkanstärke in Wien. Das hat zumindest für die höheren Bezirkslagen gestimmt. Die stabile Schichtung in der Höhe hat eine stärkere Durchmischung verhindert.

Das Sturmtief verlagerte sich am Freitagmorgen weiter Richtung Polen, die zugehörige Kaltfront zeigte deutliche Verwellungstendenzen, mit einem breiten Niederschlagsfeld über dem nördlichen Balkan und eingelagerten Blitzen. An der Wolkenkante über Ostösterreich wurden verbreitet Turbulenzen im oberen Luftraum gemeldet.
Der Freitag selbst verlief dann weiterhin trocken,aber stürmisch am Alpenostrand, mit Böen bis 65 km/h am Flughafen Wien.
Zusammenfassung
Sturmtief CHARLY entstand am Mittwoch, 08. Jänner 2025 am Okklusionspunkt eines mehrteiligen Atlantiktiefdrucksystems und zog als Wellentief langsam nordostwärts. Mit der Annäherung eines markanten Höhentrogs von Norden wurde die barokline Zone reaktiviert und Frontogenese setzte ein. Die Kaltfront geriet in weiterer Folge in die doppelte Jetkonfiguration mit nachrückendem Warmfrontjet (left exit region) und Polarfrontjet (right entrance region). Das begünstigte die Entwicklung eingelagerter Gewitter an der Kaltfront mit lokal schweren Sturmböen. Die umgebogene Okklusion wurde vollständig vom Dryslot überrannt, die frontrückseitige Trogaktivität setzte verzögert ein, bis die Grundschicht wieder soweit angefeuchtet wurde, dass Feuchtkonvektion möglich war (mit einem weiteren Randtrog über der Nordsee in der Nacht auf Freitag).

Isobaren und Isohypsen verlaufen mit Kaltfrontdurchgang normal zueinander über Nordösterreich, Tschechien bis Westpolen, das heißt, lehrbuchhafte Kaltluftadvektion in den unteren Schichten.
Für die Monats- und Allzeitrekorde am Alpenostrand verantwortlich war das starke Druckgefälle entlang des Donauraums plus Leitplankeneffekt am Alpennordrand mit Überströmung des Alpenostrands (Lee-Effekt).
Insgesamt würde ich trotz der doppelten Jetkonfiguration von einer Norwegerzyklogenese ausgehen, wobei das Sturmtief sich auf der kalten Seite des Polarfrontjets entwickelt hat. Die doppelte Hebung hat den Tiefkern selbst nicht tangiert – der Kerndruck blieb über viele Stunden nahezu unverändert, sondern ausschließlich die Kaltfront.
