Wiener Becken: Leewelle, dann Frontdurchgang.

Ausgeprägte Wolkenkante im Süden des Wiener Beckens Richtung Semmering und Wechsel, mit Altostratus mammatus (Bildmitte) und tiefen Rotorwolken (Cumuli), 15. April 2025 (15 Uhr MESZ)

Eine Serie denkwürdiger Sommertage hat begonnen. Am Dienstag, 15. April entwickelte sich zudem eine ausgeprägte hochreichende Gebirgswelle über dem östlichen Flachland mit kompakter mittelhoher Bewölkung, aus der es teilweise mäßig regnete. Dazu wehte starker Südwind. In dieser Kombination hab ich das in Zusammenhang mit einer Föhnlage persönlich noch nicht in Wien erlebt. Meist sorgt die Leewellenbewölkung nur für Fallstreifen, aber ohne nennenswerten Niederschlag am Boden.

Eine genauere Analyse der Wetterlage zeigt jedoch, dass es zwei Niederschlagsphasen gab: Die mit der Leewelle und schwächeren Niederschlag (meist As virgae) und später den Durchgang der Okklusion von Südwesten und messbaren Niederschlag aus konvektiv geprägter Bewölkung.

Großwetterlage:

Wetterlage am 15.04.25, 14 Uhr MESZ, wetter3.de

Ein Langwellentrog über Westeuropa sorgt für eine steile Südwestströmung im Alpenraum mit eingelagerten Kurzwellentrögen. Damit wird feuchtwarme Luft herangeführt. Die kleinere Trogachse war mit dem stärkeren Niederschlag am Abend verbunden.

Luftmassen + Bodendruck um 14 Uhr MESZ

Das steuernde Zentraltief sitzt über dem Ärmelkanal, ein Leetief über Bayern. Vom Rheintal ostwärts herrscht ein ausgeprägtes Druckgefälle über die Alpen hinweg mit starker Drängung der Isobaren im östlichen Bergland. Die Luftmassen erreichen in der pseudopotentiellen Temperatur frühsommerliche Werte.

Taupunkte um 14 Uhr MESZ (kachelmannwetter.com)

Das zeigt sich auch bei den Taupunkten, die mit 10 bis 14 Grad relativ hoch liegen. Deutlich einstellige Werte werden nurmehr in den Föhnregionen sowie in höheren Gebirgslagen gemessen.

Lage der Fronten im Wasserdampfbild

Wasserdampfbild um 15 Uhr MESZ mit eingezeichneten Okklusionsfronten und markierter Position der Leewelle im Osten (kachelmannwetter.com)

Die erste Okklusion lag bereits östlich vom Alpenraum, die zweite quer über die Alpen, durch den Föhn unterbrochen. Die Lage der Front ist auch anhand des dunklen Streifens erkennbar, der über der Schweiz bis zum Apennin verläuft. Die Leewelle war zu diesem Zeitpunkt schon so hochreichend, dass sie im Wasserdampfbild sichtbar war.

Satellitenbilder der neuen Meteosat-Generation

Satellitenbild im sichtbaren Kanal:

Satellitenbild mit Leewellenkante um 15 Uhr MESZ (kachelmannwetter.com)

Die starke Überströmung des Alpenostrands sorgt für eine ortsfeste hochreichende Gebirgswelle mit scharfer Wolkenkante an der Rückseite und kompakter mittelhoher Bewölkung.

Kombiniertes Infrarotes und sichtbares Satellitenbild von 15 Uhr (kachelmannwetter.com)

Die Wolkenobergrenzentemperatur der Gebirgswelle sank verbreitet unter -40°C, stellenweise -45°C ab. Das entspricht nun 9000m Meereshöhe.

Wolkenphasen-Satellitenbilder

Die neue Wettersatellitengeneration erlaubt eine hochaufgelöste Unterscheidung der Wolkenphasen. Dunkelpink: dicke, tiefe Wasserwolken mit große Tröpfchen, dunkelblau: dicke Eiswolken mit großen Eisteilchen, hellblau: dicke Eiswolken, kleine Eisteilchen (starke Aufwinde in Verbindung mit Konvektion).

Um 15 Uhr MESZ:

Wolkenphasen um 15 Uhr – Meteosat 10 (kachelmannwetter.com)

In der stabilen Anfangsphase reicht tiefe Staubewölkung mit reinem Wassergehalt bis knapp über Semmering und Bucklige Welt („Föhnmauer“, engl.: cap cloud). Im aufsteigenden Ast der Leewelle werden vermehrt Eiskristalle produziert, sie sind relativ klein über Wiener Neustadt (höhere Cloud Top Temperatures) und deutlich größer über Wien und dem Nordburgenland, wo höhere Cirruswolken über dem Altostratus entstanden sind. Cirro- und Altostratus erzeugen genügend Eiskristalle und unterkühlte Wolkentröpfchen für den Bergeron-Findeisen-Prozess. Dadurch fällt leichter Niederschlag aus der mittelhohen Bewölkung.

Zwischen 15 und 16 Uhr wachsen beide Niederschlagsgebiete zusammen:

VIL + TAWES (10min)

Im VIL-Radar (Vertically integrated liquid, Gesamtniederschlag in Wolken anhand von Radarreflektiviert, hellgrün entspricht rund 1 kg/m²) sowie gemessener Niederschlag durch die TAWES-Wetterstationen (10min). Anfangs produzierten die Wolken nur Spuren (0,0mm) von Niederschlag, das heißt, der Niederschlagssensor registriert Regentropfen, aber keine messbaren Mengen.

Webcam-Bild vom Ares Tower, Kaisermühlen, Richtung Südwesten, um 16 Uhr MESZ (foto-webcam.eu)

Ab 16.10 Uhr MESZ wird messbarer Niederschlag (0,1 bis 0,3mm in 10 Minuten) registriert – passend zum Webcam-Bild.

Lage der Leewolke und Okklusion um 16.20 Uhr MESZ im Wolkenphase-Bild (kachelmannwetter.com)

Um 16.20 Uhr ist die Leewolken-Kante weiterhin gut zu sehen, ebenso die hochreichende Cirrusbewölkung über dem östlichen Flachland [1]. Vom Südwesten Ungarns über die Steiermark und Oberösterreich bis Niederbayern zieht sich ein Band mit konvektiver Bewölkung und höherem Anteil kleinerer Eiskristalle (türkisfarben), was auf Aufwinde hindeutet (= Okklusionsfront, [2]) Frontrückseitig über Salzburg erneut eine ortsfeste Leebewölkung.

Radarloop

Radarloop vom 15. April 2025, 13.30 Lokalzeit bis 21 Uhr Lokalzeit (VIL + TAWES 10min), Quelle: ACG

Ab etwa 18 Uhr Lokalzeit begann das Niederschlagsfeld von West nach Ost zu driften und löste sich bis 21 Uhr Lokalzeit über dem Wald- und Weinviertel auf.

Im Wasserdampfbild von 19 Uhr Lokalzeit erkennt man den Grund für die Verlagerung der Niederschlagsechos:

kachelmannwetter.com

Der dunkle Wasserdampfstreifen wird intensiver und die zugehörige Okklusion verlagert sich nordostwärts. Anfangs bleibt die Leewolke noch stationär, bis sich das Strömungsregime in der Höhe ändert und die Welle ihr Ortsfestigkeit verliert.

hochreichende Leebewölkung schematisch (Eumetrain)

Hochreichende Leewellen manifestieren sich als Ausbreitung vertikaler Energie. In hohen Luftschichten ist die Luftdichte geringer, weshalb die Wellenamplitude zunimmt. Damit nimmt auch die Wellenlänge mit der Höhe zu, weshalb hohe Leewolken deutlich flächiger entwickelt sind als niedrige Leewellen („Föhnfische“).

Vertikalprofil im östlichen Flachland

Radiosondenaufstieg von Wien- Hohe Warte (14 Uhr MESZ), kachelmannwetter.com

Bei einer sommerlichen Gewitterlage wäre das ein schöner Gewittertemp, mit gut durchmischter Grenzschicht, darüber eine „elevated mixed layer“ (EML), hier Föhn-Schicht, und darüber hochreichend labil (hier: most-unstable CAPE). Die Modelle (z.b. EZWMF und ICOND2) haben die trockene Schicht um 800hPa zwar in Vorhersage-Aufstiegen gerechnet gehabt, aber nicht so ausgeprägt.

Die ausgemessenen Wolkenobergrenzentemperatur über den Niederschlagsechos betrug bis -45°C, also rund 9km Höhe, das ist etwas unterhalb der Tropopause. Durch die starke Südströmung ist auch eine Verlagerungsdrift der Radiosonde zu berücksichtigen, das heißt die gemessenen Daten stammen ab einer bestimmten Höhe eher aus dem Weinviertel und Mähren und nicht mehr vom Wiener Becken.

Mit dem Niederschlag wehte gleichzeitig lebhafter Südwind. Gemeinsam mit der feuchtmilden Luft war das ein eigenartiges Feeling, was mehr in den Frühsommer passte als in den Frühling.

Mit Durchgang der Okklusion (frontogenetisches Forcing) und eventueller Unterstützung durch den aufsteigenden Ast der Leewelle (hydrodynamisches Forcing) konnte diese elevated instability stellenweise angezapft werden, das erklärt die stärkeren Niederschlagsraten bei Frontdurchgang am Abend.

Webcam-Bilder vom Flugplatz Wiener Neustadt (Panomax), Blickrichtung Südwest

Webcam LOAN

Bis Mittag noch föhnige Auflockerungen, am Nachmittag bildete sich zuerst die hochreichende Gebirgswelle mit absinkendem Cirro- und Altostratus. Darunter flache Cumulus-Bewölkung.

Annäherung der Front

Am Abend nimmt die tiefe Bewölkung mit der Okklusion zu. Es bleibt durch den Föhneffekt aber trocken. Im Wiener Becken heben die Wolkenuntergrenzen an und es fällt aus mittelhoher Bewölkung zunehmend messbarer Niederschlag. Etwa nördlich vom Flugplatz steht eine längliche, wurstförmige Rotorwolke.

Blickrichtung Nordwest und Süd

Mit weiterem Frontdurchgang lockert es rückseitig wieder auf und es bleibt die tiefe Bewölkung am Semmering-Wechsel-Gebiet übrig. Im Norden intensiviert sich der Niederschlag mit Frontdurchgang.

Um 18.10 Uhr MESZ

Wolkenphase, 18.10 Uhr Lokalzeit (kachelmannwetter.com)

Am Abend verschmelzen Leewolke (Kante anfangs noch erkennbar, siehe [1]) und Frontbewölkung der Okklusion [2]. Über dem Pinz- und Pongau ist die Leebewölkung erneut sehr ausgeprägt mit scharfer Begrenzung (markante Föhnturbulenzen) genau nördlich vom Alpenhauptkamm. Es handelt sich dabei um dicke Wasserwolken mit kleinen Tröpfchen [3]. Südlich vom Alpenhauptkamm gibt es vor allem tiefe Stauwolken (Wasserwolken) mit großen Tröpfchen, teils auch in der Mischphase mit Eiskristallen (höherreichende Stauwolken, [4]). Am Alpensüdrand (Italien) sind die Wolkenobergrenzen noch niedriger und es überwiegen die kleinen Tröpfchen im Stratocumulus.

Zusammenfassung

Die gestrige Wetterentwicklung war noch spannender als gedacht mit einem interessanten „plot twist“:

Ich fing an zu analysieren, weil es aus der stationären Leewolke teilweise mäßigen Niederschlag gegeben haben soll. Das war die Anfangshypothese. Niederschlag aus Leewolken ist aber sehr selten und verdunstet aufgrund der trockenen Luft im Lee großteils. Außer es handelt sich explizit um übergreifende Föhnmauern (tiefe Wolken). Hier fiel der Niederschlag aber aus mittelhoher Bewölkung mit aufgelockerter bis stärkerer Stratocumulus-Bewölkung darunter (4000 bis 6000ft amsl).

In der ersten Phase bis etwa 16 Uhr Lokalzeit verdunstete der Niederschlag großteils über dem Wiener Becken, vereinzelt wurden bis dahin Spuren (0,0) bzw. geringer Niederschlag (0,1mm) gemessen. Das reicht, damit der Boden feucht wird, aber es werden sich keine Pfützen bilden. Für die Niederschlagsentstehung kommt der Bergeron-Findeisen-Prozess in Frage.

In der zweiten Phase bis etwa 21 Uhr querte die Okklusionsfront den Ostalpenraum von Südwest nach Nordost. Darin waren konvektive Aufwinde eingelagert und der Niederschlag fiel stellenweise mit mäßiger Intensität. Durch die ungewöhnliche Verlagerungsrichtung der Okklusion wehte auch rückseitig noch lebhafter Südostwind.

Eine wirklich bahnbrechende Innovation sind die – leider nur tagsüber verfügbaren – Satellitenbilder der neuen Generation an Wettersatelliten. Insbesondere die Satellitenbildprodukte der Wolkenphasen sind dabei sehr hilfreich in der hohen räumlichen und zeitlichen Auflösung.

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