
Hintergrund:
Am unterfränkischen Main aufgewachsen kenne ich Hochwasser seit der frühen Kindheit. Der ufernahe Radweg wurde öfter überschwemmt und ein paar Mal auch die Altstadt der Landkreis-Hauptstadt Miltenberg, 4km flussaufwärts meines Heimatorts Großheubach, ehe man den Hochwasserschutz ausgebaut hat. Ich erlebe die schweren Hochwasserlagen im Dezember 1993, Januar 1995, Oktober 1998, Januar 2003 und 2011 hautnah mit. Kleinere Hochwasserwellen gab es noch im Februar und März 2002 durch anhaltende Westwetterlagen. Obwohl ich seit über 20 Jahren im Ausland lebe, schaue ich immer noch mit Interesse auf potentielle Hochwasserlagen in meiner Heimat. Durch die Klimaerwärmung werden derartige Starkregenlagen jedoch immer seltener. Seit über zehn Jahren gab es keine signifikante Hochwasserlage mehr am Main, allenfalls an den Nebenflüssen gebietsweise hohe Wasserstände. Der Hauptgrund für diese Entwicklung ist die nördlich verschobene Frontalzone, wodurch die Regenfronten nicht mehr tagelang über den Mittelgebirgen verweilen. Derzeit herrscht eher anhaltende Trockenheit und auch die Winterniederschläge, die zu Schneeschmelze im Spätwinter beitragen, bleiben weitgehend aus.
Abhängige Faktoren für die Wassermenge, die in die Zuflüsse gelangt
- Hier spielt die Höhe der Schneedecke (potentielle Abflussmenge) ebenso eine Rolle wie der Wassergehalt der Schneedecke selbst (Puffer/Schwamm-Effekt möglich?)
- Die Art des Schnees, ob sulzig oder gefroren, entscheidet, wie rasch die Schneedecke abschmelzt. Bei eisig gefrorener Schneedecke (Firnbildung) wird der Umgebungsluft durch den Schmelzvorgang viel Wärme entzogen, die fühlbaren Wärmeflüsse gehen zurück und der Tauvorgang verlangsamt sich.
- Art des Bodens: Sandig-lehmiger Boden wie Parabraunerde (Regnitzgebiet) kann Wasser kaum speichern. Weite Teile des Maintals sind Weinanbaugebiet (kaum speicherfähige Böden, sandig, ehemals Muschelkalk).
- Zustand des Bodens: gefrorene oder übersättigte/überschwemmte Böden können kein zusätzliches Wasser mehr aufnehmen
- Intensität, Dauer und Flächenausmaß der Niederschläge: Großflächiges Aufgleiten ist effektiver als schauerartig-lokale Niederschläge. Je nach Ausmaß gibt es ein regionales oder überregionales Hochwasser
- Vegetationszustand: im Sommer kann mehr von Pflanzen gespeichert werden als im Winter, waldreiche Gebiete können mehr speichern als ackerreiche Gebiete
- Flächenversiegelung: Kanalisierung, Begradigungen, Versiegelungen, Ackerflächen, etc, die natürliche Retentionsflächen verkleinern.
- Schneefallgrenze: je höher, umso mehr Niederschlag wird abflusswirksam
Durchschnittliche Dauer einer Hochwasserlage (von der Scheitelwelle bis zur Mündung)
An Gebirgsflüssen ist die Dauer des Hochwassers an die Niederschlagsintensität gekoppelt. Mit nachlassendem Starkregen läuft meist zeitnah die Scheitelwelle ab. In flacherem Terrain gilt das nicht mehr, hier sind Abfluss und Scheitelwelle deutlich zeitversetzt, zumindest an den Hauptflüssen.
Im Alpenraum:
- Donau 1-3 Tage
- Mur/Inn 1-2 Tage
- Drau/Gail/Möll 24-36 Std.
Außerhalb der Alpen:
- Mosel 1-2 Tage
- Rhein mehrere Tage
- Main 5-7 Tage
- Elbe mehrere Wochen
Bei länger anhaltend hohen Pegelständen wirkt sich Dauerfrost nach dem Niederschlagsereignis positiv auf den Rückgang des Hochwassers auf. So sorgte teils strenger Frost im Januar 2003 für ein Abflachen der Scheitelwelle am Main.
Von Bedeutung ist außerdem die räumliche Niederschlagsverteilung, da es gerade am Main selten vorkommt, dass alle vier Haupteinzugsgebiete gleichmäßig betroffen sind. Die Scheitelwellen der Nebenflüssen kommen zeitversetzt in den Main, wodurch zwischenzeitlich ein Stagnieren oder ein Rückgang des Pegelstands nachfolgende Scheitelwellen abflachen kann. Das macht die Pegelstandsprognose zur Herausforderung.
Saisonale Häufigkeiten von Hochwassern in Mitteleuropa
An den Alpenflüssen gibt es zwei Schwerpunkte – im Frühjahr mit einsetzender Schneeschmelze (Mai 2008, Pfingsten 1999, Juni 2009, Juni 2013) und im Sommer, wenn Okklusionsfronten konvektiv durchsetzt sind bei hoher Schneefallgrenze (August 2002, 2005). Am Main sowie allgemein an deutschen Mittelgebirgsflüssen scheint sich die Saison in den letzten zehn Jahren verschoben zu haben – vom Winterhochwasser mit Dauerregen und Tauwetter gleichzeitig zu regionalen Starkregenereignissen im Sommer. Am Main sind erhöhte Pegelstände im Sommer weiterhin sehr selten (z.B. Juni 1997).
Meldestufen des Hochwassernachrichtendiensts Bayern (HND)
- Meldestufe 1: Stellenweise kleinere Ausuferungen
- Meldestufe 2: Land- und forstwirtschaftliche Flächen überflutet oder leichte Verkehrsbehinderungen auf Hauptverkehrs- und Gemeindestraßen.
- Meldestufe 3: Einzelne bebaute Grundstücke oder Keller überflutet oder Sperrung überörtlicher Verkehrsverbindungen oder vereinzelter Einsatz der Wasser- oder Dammwehr erforderlich.
- Meldestufe 4: Bebaute Gebiete in größerem Umfang überflutet oder Einsatz der Wasser- oder Dammwehr in großem Umfang erforderlich.
Die Meldestufen richten sich nach örtlichen Gegebenheiten und nicht nach Jährlichkeiten. Beispielsweise tritt Meldestufe 3 an der unteren Aisch (nördlicher linker Zufluss der Regnitz) jedes Jahr auf, am schiffbaren Main nur alle 5 Jahre.
Einzugsgebiet des Mains
Das Einzugsgebiet des Mains umfasst ca. 27 200 km², bis zur Landesgrenze Bayern-Hessen sind es ca. 23 300 km² ( = 85 %). Die Länge des Mains beträgt ab dem Zusammenfluss des Weißen und Roten Mains bis zur Mündung in den Rhein bei Mainz rund 474 Kilometer. Davon liegen rund 405 Kilometer in Bayern. Rechnet man die Lauflänge des Roten Mains mit 53 Kilometern hinzu, so beträgt die gesamte Länge rund 527 Kilometer. So gerechnet ist der Main der längste Fluss, der vollständig innerhalb Deutschlands liegt.

Die Karte (Verwendung mit freundlicher Genehmigung durch die Regierung von Unterfranken, Sachgebiet Wasserbau und Wasserwirtschaft) zeigt das Einzugsgebiet des Mains mit den Grenzen der Regierungsbezirke sowie der Angrenzung an Hessen und Baden-Württemberg, die ebenfalls zum Einzugsgebiet gehören.
Die vier größten Zuflüsse zum Main sind…
- Einzugsgebiet des Obermains (Itz, Rodach, Roter und Weißer Main): Thüringer Wald, Frankenwald, Fichtelgebirge
- Einzugsgebiet der Regnitz (Fränkische Rezat, Aisch, Pegnitz): Fränkische Schweiz, Fränkische Alb
- Fränkische Saale und Sinn: Hochspessart, Rhön
- Tauber
Auf hessischer Seite folgt noch die Nidda, die unmittelbar vor Mündung des Mains in den Rhein in den Main mündet.
Verhalten der Zuflussgebiete
Die Zuflussgebiete des Mains zeigen unterschiedliches Verhalten: Die Scheitelwellen an Regnitz und Tauber laufen schneller ab als an Fränkischer Saale und Obermain. Dafür reagieren Saale und Regnitz rascher auf verhältnismäßig geringe Niederschläge, während es am Obermain ergiebig regnen muss, ehe etwas passiert. Insbesondere das Obermaingebiet fungiert bei Schneebedeckung längere Zeit als Puffer für den gefallenen Niederschlag, ehe das Schmelzwasser tatsächlich für starke Pegelanstiege sorgt.
– Regnitz und Nebenflüsse
Im Regnitzeinzugsgebiet genügen bei vorheriger Sättigung der Böden durch Niederschlag und/oder Schneeschmelze bereits geringe Regenmengen (10-20 mm), um die Meldestufen 1 und 2 zu erreichen, das Hochwasser schwillt dabei rasch an und ebenso rasch wieder ab, ausgenommen die unteren Zuflüsse (Aisch), wo über mehrere Tage oder sogar Wochen hohe Pegelstände erreicht werden.
Erhöhte Aufmerksamkeit gilt im Frühjahr, wenn tageszeitlich bedingte Schneeschmelze (Tagesgang der Temperatur, erhöhter Sonnenstand) zu teils beträchtlichen Pegelanstiegen führt (in den letzten Jahren einmal im März/April vorgekommen, ging bis Meldestufe 4)
– Obermain und Nebenflüsse
Im Obermaingebiet müssen schon größere Regenmengen fallen bzw. starkes Tauwetter herrschen, damit dort die Pegel stark ansteigen. Ein heißer Kandidat für Meldestufe 3 bis 4 ist dabei die Itz bei Coburg, was bei beinahe jedem mittleren Hochwasser vorkommt. Gibt es sowohl ein starkes Hochwasser am Obermain als auch an der Regnitz (mind. Meldestufe 3), kann man am schiffbaren Main unterhalb Bambergs ebenfalls von einem Überschreiten der Meldestufe 2 ausgehen, da dann die Scheitelwellen beider Nebenflüsse nahezu zeitgleich zusammentreffen.
– Fränkische Saale und Sinn
Im Einzugsgebiet der Fränkischen Saale genügen wiederum geringere Regenmengen, um zu raschen Pegelanstiegen zu führen. Hier spielen vor allem Tauwetter und Stauniederschläge an der Rhön eine wichtige Rolle. Der höchste Wasserstand am Unterlauf der Saale (Wolfsmünster) wurde am 3.1.2003 mit 650 cm erreicht (normal sind 200 cm). Die Zuflüsse schwellen hier ebenso rasch an wie ab.
– Tauber
Die Tauber verhält sich wie ein Alpenfluss. Sie schwillt rasch an und wieder ab, die Scheitelwelle ist meist innerhalb zwei Tagen durchgelaufen. Die Meldestufe 4 wurde zuletzt 1998 überschritten. Bei gleichzeitig starkem Hochwasser am Main ist besonders Wertheim an der Mündung einstaugefährdet.
Scheitelwellen am Main
Der Durchgang der Scheitelwelle dauert am Main oft mehrere Tage und kann durch die Regulierung mit Staustufen künstlich abgefedert werden. Sonst flachen natürliche Einflüsse wie Dauerfrost und Schneefall (Schwamm-Effekt) die Welle ab.
Schwierig ist die Prognose am Main deshalb, weil die Scheitelwellen der Nebenflüsse zu unterschiedlichen Zeitpunkten den Main erreichen. Die Regnitz ist tendenziell etwas schneller als der Obermain, dafür ist zwischen Bamburg und Steinbach eine längere Lücke mit kaum abflussrelevanten Nebenflüssen. Diese verhindert, dass die Scheitelwelle(n) von Regnitz und Obermain in unverminderter Wucht auf die Scheitelwelle der Fränkischen Saale trifft. Oft findet vorher ein leichtes Abflachen statt, im Januar 2011 wurden auf diese Weise Rekordpegelstände von über 700 cm (normal: 120 bis 160 cm) am Untermain verhindert, es blieb bei zwei langgestreckten Scheitelwellen ähnlichen Pegelhöchststands (mehr dazu in der Fallstudie).
Für ein Hochwasser der Meldestufe 4 dürfen die Intervalle zwischen den Scheitelwellen der Nebenflüsse also nicht zu lang sein.
Rolle des Niederschlags
Da der Main von Ost nach West fließt, bekommt das gesamte Einzugsgebiet bei Regenfronten, die von West nach Ost ziehen ab, Niederschlag ab. Es hängt nun davon ab, wo es am längsten und stärksten regnet, aber tendenziell werden die stromabwärtigen Zuflüsse (Tauber, Fränkische Saale) rascher steigen als die stromaufwärtigen Zuflüsse. Alleine dadurch ergibt sich eine zeitversetzte Scheitelwelle. In den meisten Fällen ist die erste Welle schon durch, ehe die zweite nachkommt. Dann kann sich auch eine stärkere, zweite Welle relativ schnell in Wohlgefallen auflösen, wenn weiter stromabwärts die Wasserstände schon am Sinken sind.
Auch macht sich Tauwetter am ehesten in den stromabwärtigen Zuflussgebieten bemerkbar, die von der Höhenlage niedriger sind (Odenwald, Spessart, Steigerwald) und wo die Kaltluft meist schneller ausgeräumt wird als speziell östlich der Regnitz (Fränkische Schweiz) und am Obermain (Fichtelgebirge, Frankenwald, Thüringer Wald).
Das stark verzögerte, manchmal unerwartet träge Tauwetter am Obermain kann eine Schlüsselrolle spielen, ob ein markantes Hochwasser am Main auftritt oder nicht.
Fallbeispiel Main-Hochwasser im Januar 2011
Das Hochwasser am Main im Januar 2011 war weniger in den Höchstständen als in seiner Dauer ungewöhnlich: Die Feuerwehr in Lohr am Main hatte den längsten Einsatz ihrer Geschichte (mehr als 7 Tage), die Wertheimer und Teile der Miltenberger Altstadt, aber auch die Ortsteile zahlreicher, weiterer Gemeinden am Main und einzelnen Zubringern standen für eine Woche unter Wasser. Das hat es seit mindestens 1988 nicht mehr gegeben. Insgesamt dauerte das Ereignis vom 08. bis zum 18. Januar (bezogen auf den Durchgang der Scheitelwellen), begonnen hat alles am 6.Januar mit dem einsetzenden Tauwetter und Dauerregen.
Das Hochwasser kam in zwei Scheitelwellen, wobei das Tauwetter eine maßgebliche und die Niederschläge eine sekundäre Rolle spielten. Die hohen Schneedecken pufferten den Regen ab und tauten wegen ihrer Vereisung nur langsam auf, sie sorgten durch den Kühlungseffekt der Umgebungsluft nur für eine langsam steigende Temperatur, sodass das Tauwetter verzögert erfolgte und nicht alle Zuflüsse zum Main gleich stark betroffen waren.
In Pettstadt/Regnitz wurde der höchste Abfluss seit 1909 erreicht (1.Welle), in Lauf an der Pegnitz der vierthöchste Abfluss seit 1970 (2. Welle). In Mainleus am Zusammenfluss der Quellflüsse wurde die Marke vom 13.02.2005 knapp verfehlt, damit auch die Top 5 seit 1986 (2.Welle). In Wolfsmünster/Fränkische Saale war es immerhin der zweithöchste Wasserstand seit 2003 (2.Welle) und der dritthöchste Abfluss in den Top 5 seit 1940. In Salz am Oberlauf der Fränkischen Saale wurde dafür der dritthöchste Abfluss seit 1967 (2. Welle) gemessen
In Steinbach war es der höchste Wasserstand seit 1998 (2. Welle), dafür blieben die Top 5 der Abflüsse seit 1941 unerreicht. Würzburg landete knapp unter 2003 (2.Welle) , Kleinheubach blieb über 1998, aber unter 2003 (2.Welle).
- Scheitelwelle 1 wurde durch Tauwetter in den Niederungen und Regenmengen zwischen 20 und 50 mm verursacht, was starke Anstiege an den niederen, östlichen Saalezuflüssen, an der Tauber, an den niederen westlichen Regnitzzuflüssen sowie an den Quellflüssen des Mains und an der Itz zur Folge hatte.
- Scheitelwelle 2 ging auf verzögertes Tauwetter in höheren Mittelgebirgslagen zurück, erst am Ende Oberfranken erreichend, dazu regnete es 10 bis 20 mm, nur gebietsweise 30-40 mm. Die Folge waren starke Anstiege an den höheren, westlichen Saalezuflüssen, an den höheren, östlichen Regnitzzuflüssen sowie an den Zuflüssen aus dem Thüringer Wald, Frankenwald und Fichtelgebirge.
Unterschiedlich einsetzendes Tauwetter hat flächendeckend starke Abflüsse im gesamten Einzugsgebiet verhindert, zudem war der Dauerregen beim zweiten Ereignis schwächer und kürzer als vorhergesagt.
In Summe haben die Anwohner am Main äußerst viel Glück gehabt, dass die hochwassergebenden Faktoren hier nicht gleichzeitig gegeben waren.
Ausgangslage

Daten vom 31.12.10 und 4.1.11, nur geringfügige Verschiebungen zwischen beiden Terminen.
Nach dem 21.November verursachten Nordlagen zeitweise kräftige Schneefälle, nachfolgend gab es kurze Tauwetterphasen. Im Fichtelgebirge hat sich die Schneedecke im wesentlichen erhalten, anders dagegen in Unterfranken, wo die Nordwestlage um den 13.12.2010 die Schneedecke im südlichen Unterfranken vollständig abtaute, im nördlichen Unterfranken zumindest großteils.
Nachfolgend setzten von Südwesten her Milderung und Tauwetter ein:

Am 6.Januar zog das erste Tief mit seiner Warmfront über die Mainregion hinweg und bis zum 9. Januar befand sie sich im Warmsektor eines Westeuropatiefs. Am 9. Januar tagsüber verlagerte sich eine Kaltfront ostwärts und beendete vorübergehend das Tauwetter.

Vom 12. bis 14. Januar sorgte eine markante, schleifende Warmfront nochmals für Aufgleitniederschläge und Tauwetter.

Dann dominierte der Warmsektor, ehe eine schwache Kaltfront durchzog. Ab 19. Januar wurde es merklich kälter und das Tauwetter wurde endgültig beendet.
Gegenüberstellung der Scheitelwellen

Der Vergleich beider Scheitelwellen zeigt, dass die zweite Welle bis auf Raunheim, Regnitz und Tauber überall höher war. Den stärksten Zuwachs gab es am Obermain nach Zusammentreffen der Frankenwaldzuflüsse mit den Quellflüssen des Mains aus dem Fichtelgebirge. Hier war maßgeblich das starke Tauwetter ursächlich, das bei der ersten Welle kaum präsent war.
Eine starke Abnahme gab es im Tauber-Einzugsgebiet (Schneedecke beim ersten Ereignis bereits abgetaut, nur 5-10 l/m² beim zweiten Ereignis) sowie an der Regnitz, wo nur die östlichen Zuflüsse höhere Wasserstände als beim ersten Ereignis erreichten. Auch hier waren im Bereich der westlichen Zuflüsse die Schneedecken bereits abgetaut und außerdem verhältnismäßig wenig Niederschlag zu verzeichnen.
Die starke Abnahme in Raunheim, dessen Scheitel zwei Stunden vor Frankfurt erreicht wird, wurde vermutlich durch die Staustufenregulierung in Kostheim erreicht, wo das Walzenwehr hochgezogen wurde, um den stromaufwärtigen Wasserstand zu senken.
Laufzeiten der beiden Scheitelwellen
Zur Wahl der Pegel: Mainleus befindet sich unmittelbar nach dem Zusammenschluss von Rotem und Weißem Main zum Main, Trunstadt liegt kurz nach der Mündung der Regnitz, Steinbach kurz nach Mündung der Fränkischen Saale. In Wertheim fließt die Tauber in den Main, kurz vor Kleinheubach die Mud.
Laufzeit der ersten Scheitelwelle

Bis die Obermainwelle den Untermain erreicht, dauert es also über einen Tag und dann genau zwei Tage bis zur Mündung der Fränkischen Saale. In dieser Zeit kommen aufgrund wenig wasserführender Nebenflüsse kaum verstärkte Abflüsse in den Main, sodass sich die Scheitelwelle von Regnitz und Obermain abflachen kann. Die Welle hat Miltenberg (Kleinheubach) schließlich innerhalb eines Tages passiert und einen Tag später den Rhein erreicht.
Die Ausbildung der ersten Scheitelwelle erfolgt bis dahin in mehreren Schüben (vgl. Tabelle 1), wobei die der Tauber zuerst den Main erreicht (wie bereits 1995 und 2003), dann folgt die Regnitz, die Fränkische Saale und schließlich der Obermain. Zuerst also der untere, dann der obere, dann der mittlere und schließlich der obere Zufluss – daraus resultieren theoretisch vier Scheitelwellen, was die Pegelstandsprognose am Main so wahnsinnig kompliziert macht (hinzu kommen technische Einflüsse wie die Staustufenregulierung und evtl. geöffnete Retentionsflächen).
Zwischenfazit erste Scheitelwelle:
Zwischen wieder fallenden Wasserständen ab Steinbach und der Obermainwelle bei Kemmern liegen 3 Tage und 6 Stunden. Die schnellsten und stärksten Pegelanstiege (bis zu 200 cm in 24 Std.) am Untermain sind demzufolge maßgeblich von Tauber und Fränkische Saale verursacht. Obermain und Regnitz sorgen für eine langgezogene Scheitelwelle, der Anstieg am Untermain fällt daraus aber flacher aus.
Beim letzten großen Hochwasser im Jahr 2003 war es ähnlich: Die erste Scheitelwelle erreichte die Höchststände am Untermain, die zweite Scheitelwelle wenige Tage später von Obermain und Regnitz komend fiel knapp niedriger bzw. genau gleich aus.
Laufzeit der zweiten Scheitelwelle

An der Regnitz wurde der Scheitel erneut vor dem Obermain erreicht, jedoch im Gegensatz zur ersten Welle etwas früher, was mit dem steileren Gefälle der östlichen Regnitzzuflüsse begründet werden kann, die die Scheitelwellen rascher abfließen lassen, sowie allgemein mit erhöhten Abflüssen nach der ersten Welle.
Die Fränkischen Saale erreichte im Gegensatz zur ersten Welle deutlich vor der Obermainwelle bei Kemmern den Main (-12), auch hier wurden im Gegensatz zur ersten Welle die steileren Zuflüsse von der Rhön (Milz, Brend) stärker bedient, zuvor war es vor allem die Lauer (flacheres Terrain).
In beiden Fällen muss man die Ursache im starkem Tauwetter suchen, das auch höhere Lagen erfasst hat.
Zwischen Obermainwelle und Saalewelle lagen allerdings nur noch 2 Tage (-1 Tag), und das hat meiner Ansicht nach bewirkt, dass Steinbach den Höchststand von 2003 noch geknackt hat. Weiter stromabwärts sorgte der viel niedrigere Scheitel der Tauber und das frühe Eintreffen lange vor der Obermainwelle für nur noch geringe Anstiege gegenüber der ersten Scheitelwelle.
Zwischenfazit zweite Scheitelwelle:
Die Ergebnisse zeigen, dass die höhere Fließgeschwindigkeit vor der zweiten Scheitelwelle nicht zwangsläufig kürzere Laufzeiten zur Folge hatte. Sie wirkte sich am oberen Main nur marginal aus, zwischen Regnitz- und Saalemündung ergibt sich sogar eine etwas längere Laufzeit, da hier die Differenz zwischen Sohle und Scheitel wesentlich größer ist als weiter stromauf- und abwärts.
Unterhalb der Saalemündung ist die Laufzeit deutlich verkürzt, was mit dem Saaleabfluss zusammenhängen kann (höhere Wasserführung), aber auch mit der geringeren Sohle-Scheitel-Differenz.
Meine eigene Prognose:
Besonders schwierig bei der Prognose der zweiten Welle war, dass es dies seit dem Frühjahr 1988 nicht mehr gegeben hat. Ich hatte also keinerlei Erfahrungswerte, was am Main passieren würde, wenn zwei Scheitelwellen aufeinanderfolgen. Meine Einschätzungen (Anm.: in einem Wetterforum) zur zweiten Welle musste ich also mehrfach korrigieren.
Zuerst ging ich aufgrund der Modelllage davon aus, dass ein Rekordhochwasser (über 700 cm) bevorstehen könnte. Das hatte ich auch 2003 vorausgesehen, damals zeigte aber nur GFS große Regenmengen. Diese Mal haben auch UKMO, EZMWF, GME und Lokalmodelle (z.B. GFS-WRF) viel Niederschlag gezeigt. Tatsächlich wurde der Flächenniederschlag als auch die Dauer des Ereignisses (minus 8-12 Std.) überschätzt, sodass sich die Scheitelwellen früher als gedacht formierten.
Eine weitere Fehleinschätzung betraf das Tauwetter, das im Frankenwald und Fichtelgebirge mit erheblicher Verzögerung einsetzte, nämlich erst im Laufe des 14. Januars, als die Oberläufe der anderen Zuflüsse bereits am Fallen waren. Die Laufzeit der Obermainabflüsse war zeitlich nach hinten versetzt und sorgte für eine langgezogene, aber keine steile Welle.
Im Prinzip bedingen die drei Faktoren Intensität und Dauer der Niederschläge sowie das Tauwetter immer die finale Größe des Hochwassers.
In einem Zwischenfazit bezweifelte ich, dass die Größenordnung von 2003 mit der zweiten Welle erreicht werden würde. Denn während dem neuerlichen Steigen der Wasserstände am Obermain und teilweise auch am Untermain stagnierten bzw. fielen die Pegelstände zwischen Schweinfurt und Steinbach leicht. Die zweite Scheitelwelle hätten dieses „Abflussloch“ mangels nennenswerter Zuflüsse nicht überkompensieren sollen, was aber tatsächlich doch der Fall war: So betrug der Wiederanstieg in Würzburg 180 cm!
In Würzburg lag der zweite Scheitel nur 6 cm unter dem Stand von 2003, in Steinbach wurden 1cm mehr als 2003 gemessen, in Wertheim und Kleinheubach wurden die Wasserstände von 2003 um 10 bzw. 20 cm verfehlt.
In Steinbach wurde mit einem Pegelstand von 6,18 m der von 2003 noch überboten. Hier wirkte der immer noch hohe Abfluss der sinkenden Fränkischen Saale aus.
Schlussfolgerungen
Das Mainhochwasser in der ersten Januarhälfte des Jahres 2011 zeichnete sich durch seine lange Dauer von anderthalb Wochen und konstant hohen Pegelständen aus, die zur großflächigen Überflutung bebauter Gebiete und Infrastruktur im Maintal führten. Im Gegensatz zu früheren Ereignissen (z.B. 1995, 1998 und 2003) waren die Niederschlagsmengen moderat, dafür stellte sich eine längere Tauwetterperiode ein.
Der Umstand, dass das Tauwetter zuerst nur die Niederungen und erst spät die höheren Lagen erfasste, sowie die lange Pufferwirkung der hohen Schneedecke als auch der vereiste Zustand der Schneedecke (verlangsamter Schmelzprozess), bewirkte geringere Anstiege der Wasserstände als zunächst befürchtet.
Der zeitliche Versatz zwischen erster und zweiter Scheitelwelle von durchschnittlich 5 Tagen sowie stagnierende Pegelstände zwischen stromaufwärtigem Zufluss (Regnitz+Obermain) und stromabwärtigen Zufluss (Fränkische Saale + Tauber) ließen die zweite Scheitelwelle weit genug verflachen, dass die betroffenen Regionen am Main von einem Jahrhunderthochwasser verschont blieben.
