Definition
„Wind- und Wasserhosen sind große Luftwirbel mit vertikaler Achse, die vom Rande einer Cumulo-Nimbus-Wolke meist bis zum Erdboden herabreichen, in ihrem Inneren durch Kondensation in Form eines herabhängenden Zapfens, Trichters, Schlauches oder Säule, im unteren Teil auch durch Staub, ganz oder teilweise sichtbar sind und in einer meist nach Hektometern zählenden Spurbreite durch stürmisches Hinzuströmen der Luft zu dem stark luftverdünnten Raum um die Wirbelachse gewöhnlich derartige Verwüstungen verursachen, wie sie auch bei den schwersten Stürmen größerer Ausdehnung nicht beobachtet werden.„
Diese Definition stammt aus dem Jahre 1917 von Alfred Wegener in seiner bedeutenden Monographie „Wind- und Wasserhosen in Europa“ (Vieweg, Braunschweig) und ist heute noch gültig.
Voraussetzungen
- Hochreichende Feuchtkonvektion (Schauer, Gewitter) ist notwendig – andernfalls handelt es sich um Kleintromben (Staubteufel, Sandteufel, etc. ).
- Viel Auftrieb in den bodennahen Schichten sorgen für vertikale Wirbelstreckung durch kräftige Aufwinde, d.h. viel latente Wärme (CAPE).
- Niedrige Wolkenuntergrenzen (< 2 km) verringern die Distanz zwischen Wirbelbildung und Boden.
Typen
Die Oberkategorie ist Trombe, darin fallen Kleintromben (nicht mit Feuchtkonvektion verbunden), Großtromben (mit Feuchtkonvektion verbunden) und Blindtromben (tornadische Wirbel, die seitlich abknicken und nicht den Boden erreichen).
Großtromben (Tornados) wiederum existieren sowohl über Land (Tornados) als auch über Wasser (Wasserhosen), veraltet spricht man auch von Windhosen und Wasserhosen.
Die Physik von Wasserhosen unterscheidet sich jedoch nicht von Tornados über Land, weshalb Tornado über Wasser der exaktere Begriff ist, nämlich unabhängig der Bodenbeschaffenheit.
Sehr wohl gibt es Unterschiede in den Mechanismen, allerdings nicht vom Boden abhängig, sondern die Art, wie vertikale Vorticity erzeugt wird:
Typ-I-Tornados entstehen bei starker vertikaler Windscherung und rotierenden Gewittern (Mesozyklonen), daher mesozyklonale Tornados genannt. Im Fall langlebiger Rotation (nicht zwingend notwendig): Superzellentornados. Die Mehrzahl existiert über Land, sie sind über Wasser aber nicht ausgeschlossen.
Typ-II-Tornados entstehen bei schwacher vertikaler Windscherung meist im Anfangsstadium von Schauern oder Gewittern an einer bodennahen Konvergenzlinie. Sie werden daher nichtmesozyklonale Tornados (früher: nichtsuperzellige Tornados) genannt. Im Englischen haben sich hierfür die Bezeichnungen landspout (Typ-II-Tornado über Land) und waterspout (Typ-II-Tornados über dem Wasser) eingebürgert.
Die Bezeichnung Typ-I und Typ-II wurde erstmals in der Diplomarbeit von Johannes Dahl (2006) genannt.
Typ-I-Tornados
Typ-I-Tornados benötigen vertikale Windscherung als Hauptzutat, d.h. eine Windzunahme mit der Höhe. Die weiters notwendige Richtungsscherung wird entweder durch eine gleichzeitige Winddrehung mit der Höhe erzeugt, oder durch eine abweichende Zugbahn des Gewitters, das dadurch Richtungsscherung „sammelt“. Richtungsänderung und Windzunahme gemeinsam erzeugen Helizität (Schraubenhaftigkeit), also die Fähigkeit eines Aufwinds zu rotieren.
Im Idealfall ist dazu viel Feuchtlabilität gegeben, mit Schwerpunkt in der 0-3 km Schicht.
Nach heutigem Kenntnisstand geht der Prozess innerhalb der Gewitterzelle folgendermaßen:
Right mover, left mover und storm splits
Bei Rechtsdrehung des Windes mit der Höhe (z.B. von Südost über Südwest auf West) bilden sich in Bodennähe jeweils ein Störungstief und ein Störungshoch. Die dadurch entstehenden Störungsdruckgradientkräfte favorisieren neues Zellwachstum auf der rechten Seite und unterdrücken neues Zellwachstum auf der linken Seite. Ein Rechtsläufer („right mover“) entsteht, der Linksläufer wird unterdrückt. Analog bei Linksdrehung des Windes mit der Höhe (wesentlich seltener). Dreht der Wind gar nicht, entstehen Gewitterteilungen („storm splits„) mit gleichermaßen favorisierten Rechts- und Linksläufern.
Entwicklung der Mesozyklone

Vertikale Windscherung erzeugt horizontale Vorticity (Rotation um eine horizontale Achse, z.B. eine Walze). Durch den Aufwind wird die horizontale Vorticity in die Vertikale gekippt („tilting„). Das Maximum der Störungsvorticity befindet sich im Maximum der Vertikalgeschwindigkeit. Das nach Süden ausscherende Gewitter (Rechtsläufer) hat positive Vorticity bei einer Zunahme der u-Komponente der Umgebung mit der Höhe. Dadurch entsteht ein rotierender Aufwindschlauch, der in mittleren Niveaus (stärkste Vertikalbewegung) am stärksten ist und „Mesozyklone“ genannt wird.
Entwicklung des Tornados
Hohe Helizität in Bodennähe bringt horizontale Vorticity in die Mesozyklone, die durch den Aufwind in die Vertikale gekippt wird. Die hohe Konvergenz am Fuß des Aufwinds konzentriert die vertikale Vorticity weiter (-> positive Feedbackschleife).
Merke: Die Umgebungsscherung produziert die Mesozyklone, die Zirkulation der Mesozyklone (durch Abwinde ausgelöste Böenfront) erzeugt nochmals horizontale Vorticity unterhalb der Mesozyklone und schließlich den Tornado.
Verantwortlich für die Abwinde zeichnet der rear flank downdraft (RFD), der an der Rückseite des Gewitters gelegene Abwind. Je stärker die Verdunstung, desto heftiger der Abwind, dessen ausströmende Kaltluft die Warmluft- und damit Energiezufuhr zum Tornado abschneidet (vgl. Okklusionsprozess bei synoptisch-skaligen Tiefdruckgebieten). Daher ist ein warmer RFD für die Langlebigkeit von Tornados günstig (Markowski 2010, S. 286)
Typ-II-Tornados
m Gegensatz zu Typ-I-Tornados benötigt diese Art weder zwingend kräftige Gewitter noch starke Windscherung. Es genügt eine konvektive Wolke, dessen Aufwind stark genug ist, um vertikale Vorticity zu strecken – und eine bodennahe Konvergenzzone, wo Winde unterschiedlicher Richtung zusammenlaufen, die vertikale Vorticity entwickelt.
Typ-II-Tornados werden bei unterschiedlichen Wetterlagen beobachtet:
Kaltluftschauer (in der kalten Jahreszeit)
Im Englischen ist die Bezeichnung cold air funnel gebräuchlich, wobei in diesem Fall Tornados gemeint sind, die im windschwachen Bereich eines Höhentrogs auftreten, wo gleichzeitig die Instabilität am größten ist. Die Mehrzahl tritt über Wasser auf (Nord- und Ostsee, Bodensee, Starnberger See), wobei auch über Land gelegentlich welche beobachtet werden.
Barosumpf (in der warmen Jahreszeit)
Das Pendant zu den Kaltluftschauern sind gradientschwache Lagen im Frühsommer mit verhältnismäßig hohem Geopotential und wenig Höhenkaltluft. Bei gleichzeitig geringen Druckgegensätzen bilden sich scheinbar stochastisch verteilt (in Wirklichkeit an lokale Effekte oder schwache Vorticitymaxima gebunden) Konvergenzzonen und Tornados.
Böenlinien
Eine Hybridform aus Typ-I und Typ-II stellen wahrscheinlich Tornados an Böenlinien dar. Bei starker vertikaler Windscherung ist große horizontale Vorticity vorhanden, die durch den Auf/Abwind in die Vertikale gekippt wird. Allerdings fehlen – im Gegensatz zu einer LEWP-Struktur (Line Echo Wave Pattern) – eingebettete Mesozyklonen, also das Vorhandensein eines langlebig rotierenden Aufwinds. In Zusammenhang mit Böenlinien fällt dann häufig der Begriff Mesovortices oder Misozyklonen (z.B. Atkins 2005).
In den USA werden auch Typ-II-Tornados an der flanking line von Superzellen beobachtet, wo erhöhte Konvergenz auftritt. Für Europa ist mir keine Beobachtung bekannt.
Vorkommen
Prinzipiell sind Tornados überall möglich, wo die Bedingungen für hochreichende Feuchtkonvektion erfüllt sind, sowie entweder bodennahe Konvergenz und/oder vertikale Windscherung präsent sind.
Bezogen auf die zuvor genannten Risiken ist die Gefährdung durch Tornados sehr gering, Selbst bei einem großem Tornadoausbruch im Mittleren Westen der USA überwiegen in der Absolutzahl die Großhagel-, Downburst- und Sturzflutereignisse bei Weitem. Die Besonderheit gegenüber Europa ist die Intensität von Frontdurchgängen. Klimatologisch gesehen sind Kurzwellentröge und Bodentiefs ausgepräger als in Europa – verursacht durch die Rocky Mountains, die gewaltige Leetröge hervorrufen, und durch die fehlende Barriere zu Kanada, wodurch sehr kalte Luft nach Süden strömen kann. Von Grund auf herrscht eine stärkere Windscherung, während in Europa die Mischung aus extremer (bodennaher) Windscherung und viel Energie seltener ist.

Die Wetterlage am 3.April 1974 etwa einen Tag vor dem größten registrierten Tornado Outbreak in der Geschichte der USA:
Sehr feuchte Luft (grün) strömt aus der Golfregion nach Norden, gleichzeitig wird von den Great Plains heiße, trockene Luft (gelb) in mittleren Schichten herangeführt. Die Vertikalprofile über den Great Plains zeigen sehr hochreichende Grenzschichten (5-6 km), die entkoppelt („elevated mixed layer“ = EML) vom Boden mit der kräftigen Westströmung ostwärts verfrachtet werden. Die Luft aus dem Golf von Mexiko ist zwar feucht, aber durch den Höhenrücken stark gedeckelt. Beide Luftmassen sind isoliert betrachtet nicht fähig, Gewitter zu erzeugen (trocken/gedeckelt).
Vierundzwanzig Stunden später überlagerte jedoch die EML die feuchte Bodenluft. Wird nun die gesamte Luftsäule gehoben, kühlt die trockene Luft stärker als die feuchte Luft ab (trockenadiabatisch vs. feuchtadiabatische Temperaturänderung), potentielle Energie wird erzeugt.
Mit dem herannahenden Kurzwellentrog wurde die potentielle Energie freigesetzt, in der Folge bildeten sich zahlreiche Superzellen und insgesamt 148 Tornados, darunter 24 Tornados der Stärke F4 (> 333 km/h) und 6 Tornados der Stärke F5 (> 419 km/h). 330 Menschen starben, über 5000 Verletzte wurden gezählt.
Im Gegensatz zu zahlreichen Darstellungen in den Medien treffen hier nicht zwei unterschiedlich temperierte Luftmassen aufeinander (auch „clash of air masses“ genannt), sondern zwei unterschiedlich feuchte Luftmassen werden überlagert. Die für tornadische Superzellenbildung notwendige Windscherung liefern Jetstream („Deep-Layer Shear„) und Bodentief („Low-Level-Shear„).
Der Outbreak erfolgt schließlich unmittelbar vor Kaltfrontdurchgang in südwestlicher Strömung (= Hauptzugrichtung von Tornados in den USA) nahe dem Okklusionspunkt, im Bereich der stärksten Hebung.
Vergleich zu Europa

In Europa ist die Topographie viel komplexer als in den USA: Weite Teile Mitteleuropas bestehen aus Mittelgebirgen, zudem ist die Feuchtequelle Mittelmeer durch Zentralmassiv, Alpen und Dinariden vom Kontinent abgeschirmt.
Ebenso wie in den USA existiert in Europa eine Zone gehäuften Tornadovorkommens entlang einer „Alley“ wie die ESWD-Datenbank belegt. Sie reicht von Südengland, Nordfrankreich, Belgien, Niederlande, Nordwestdeutschland über Südschweden bis Südostfinnland. Diese Regionen liegen klimatologisch gesehen in der Nähe zum Polarfrontjet und damit im Wirkungsbereich von Jetstreams und kräftiger Bodentiefs. Auch wenn extreme CAPE-Mengen über 3000 J/kg selten sind und noch seltener freigesetzt werden, sind starke Tornados bekannt, z.B. 1764 in Woldegk, Mecklenburg-Vorpommern (F5/T11) oder 1968 in Pforzheim, Baden-Württemberg bzw. 2008 in Hautmont, Nordfrankreich (beide F4/T8).
In den anderen Regionen gibt es regionale Häufungen, oft in Zusammenspiel von Meeresluft und Gebirgsströmungen (Föhn), z.B. in der Poebene, in der südlichen Steiermark bis zum Wiener Becken sowie im östlichen Rumänien und nahe dem Schwarzen Meer. Speziell in Südostfinnland sind Kurzwellentröge im Lee des skandinavischen Gebirges oft verschärft. Im Jahr 2011 traten dort ca. 40 Tornados auf.
In Deutschland ist die typische Situation ein Trog über Westeuropa mit starker Südwestströmung an der Vorderseite. Ein flaches Bodentief zieht daran nordostwärts und sorgt bodennah für rückdrehende Winde, die tornadische Windscherung erzeugen. Feuchtequelle sind das Mittelmeer und die erwähnte Evapotranspiration, die EML wird durch das Atlasgebirge, die Spanische Hochebene sowie durch das Absinken nordöstlich der Pyrenäen lukriert.
In Summe aber zeigt die Häufigkeitsverteilung zwei unterschiedliche Mechanismen, die zu erhöhtem Tornadopotential führen: In der Tornado-Alley vor allem in Zusammenhang mit der Frontalzone (viel Höhenwind, wenig Labilität), in den lokalen Hotspots in Südeuropa durch ein Zusammenspiel energiereicher Luftmassen und Interaktion mit der Topographie.
Verheerende Tornados ereignen sich regelmäßig in Bangladesh, wo CAPE weltweit gesehen Spitzenwerte erreicht. Dort gab es am 26.4. 1989 den mit 1300 Opfern tödlichsten Tornado weltweit. Auch Indien, die Philippinen und Japan sind immer wieder von teils starken Tornados betroffen (Quelle).
Globale Erderwärmung
Die Frage, ob Tornados durch die globale Erderwärmung zunehmen, lässt sich nicht eindeutig beantworten. Die Statistik ist hochgradig durch die technische Entwicklung der letzten Jahrzehnte verfälscht: Kameras, Handykameras, Internet und nicht zuletzt durch gestiegenes Forschungsinteresse. Weiters werden Tornados aus demographischen Gründen häufiger in dicht besiedelten Regionen beobachtet oder nachgewiesen als in dünn besiedelten. Mit dem Bevölkerungswachstum muss die Tornadozahl schon alleinig aus diesen Gründen zunehmen.
Die meteorologischen Voraussetzungen werden sich gemäß Klimamodelle mitunter gegenläufig entwickeln: Durch die Zunahme der Temperatur und des Wasserdampfgehalts in der Luft nehmen absolute Feuchte und Energie zu. Mit der Verlagerung des Jetstreams und der Frontalzone nach Norden nimmt die vertikale Windscherung jedoch im Klimadurchschnitt ab, womit das Schwergewitterpotential abnimmt.
Letzendlich interessiert die Bevölkerung, ob schadensträchtige Tornados zunehmen, d.h. Tornados, die sich von der Intensität her von geradlinigen Winden abheben (> 150 km/h). Diese benötigen nicht nur viel Höhenwind, sondern auch bodennah markanten Wind (Beispiel 18.6.2012 in Polen: F3-Tornados während Sturmtiefpassage). Abnehmende Höhenwinde lassen auch Bodentiefs schwächer ausfallen, was wiederum Auswirkung auf die bodennahe Windscherung hat.
Fazit: Nach heutigem Kenntnisstand und der Zunahme an gradientschwachen Wetterlagen im Sommerhalbjahr wird die Anzahl der Tornados mit der Erderwärmung eher abnehmen. Die Intensität könnte zumindest regional zunehmen, weil energiereichere Luftmassen zunehmen (z.b. Mittelmeergebiet).
Literatur
- A Guide to F-scale damage assessment (USA), 2003
- Bebilderter Leitfaden zur Schadensanalyse von Skywarn Deutschland (2009)
- Beck, Veronika, Nikolai Dotzek, 2010: Reconstruction of Near-Surface Tornado Wind Fields from Forest Damage. J. Appl. Meteor. Climatol., 49, 1517–1537.
- Groenemeijer & Gatzen, Forecasting tornadoes using model- and sounding derived parameters (PPT) Markowski & Richardson, Mesoscale Meteorology in Midlatitudes, 2010
- Caruso & Davies, Tornadoes in Nonmesocyclone Environments with Pre-existing Vertical Vorticity
- Wakimoto & Wilson, 1989: Non-supercell tornadoes. Mon. Wea. Rev., 117, 1113-1140
- Brooks, Severe Thunderstorms and Climate Change, 2011, ECSS Mallorca
