Der Waldviertelexpress: eine sichere Bank für Überraschungen

Extrem eng begrenzter Regenschauer auf wenige hundert Meter Breite am Flughafen Wien, 24. Juli 2024

Der gestrige Tag brachte im Osten von Österreich typisches Rückseitenwetter in der „Kaltluft“ – bei sommerlichen 25-27°C. Ein Regenschauer nach dem anderen zog vom Waldviertel über das Mostviertel bis ins östliche Flachland hinweg. Manchmal auch kurze Gewitter. Es bildeten sich regelrechte Schauerstraßen, wie an einer Perlenkette aufgereiht. Gebietskenner nennen dieses Wetterphänomen „Waldviertelexpress“.

Präsentation im Satellitenbild

Der Waldviertelexpress, gelegentlich auch Mühlviertelexpress, zeigt sich immer ähnlich – als schmale Linie mit konvektiven Wolken, die je nach Mächtigkeit der labilen Schichtung zu Regenschauern oder Gewittern heranwachsen.

Eine schmale Linie mit tiefer bis mittelhoher konvektiver Bewölkung zog sich am Mittwochmittag von Böhmen über das Obere Waldviertel bis Tullnerfeld weiter ins Wiener Becken (Datenquelle: kachelmannwetter.com)

Vertikales Schichtungsprofil

Die Luftschichtung ist bei diesen Express-Wetterlagen oft ähnlich:

Wetterballonaufstieg der Hohen Warte, 24. Juli 2024, 14 Uhr MESZ (Quelle)

Eine lebhafte Nordwestströmung sorgt für eine nennenswerte Zuggeschwindigkeit der Regenschauer. Die Labilitätsenergie ist auf die untersten 4km beschränkt, darüber macht sich die Absinkinversion des von Westen nachrückenden Hochdruckkeils bemerkbar. Einzelne Gewitterwolken reichten am Vormittag mit der Nähe zur morgendlichen Trogachse aber noch höher hinauf, bis rund 8km Höhe. Das Profil ist nicht nur labil geschichtet, sondern weist auch keinen CINH auf, das heißt, ein aufsteigendes Luftpaket erreicht ohne Hindernis (Inversion) das „Level of Free Convection“ und kann ungehindert bis zur Absinkinversion weiter aufsteigen. Es muss also kein äußerer Zwang wie Sonneneinstrahlung oder Abbau einer Inversion in Bodennah vorhanden sein. Das erklärt die Menge der Regenschauer über die Fläche und Zeit verteilt. Die Luftsäule ist zudem sehr feucht, mit 30mm PWAT überdurchschnittliche Werte, speziell für eine Trogrückseite. Dadurch ist eine hohe Niederschlagseffizienz zu erwarten. Tatsächlich fielen mit den kurzlebigen Regenschauern verbreitet 10-15mm.

In Summe waren also Feuchte und Labilität vorhanden – fehlt noch die entscheidende Zutat für Konvektion:

Hebung….

Zuerst braucht es natürlich eine großräumige, hebungsförderliche Umgebung:

500 hPa Geopotential und Temperatur am Mittwoch, 24.07.24, 14 Uhr MESZ (Quelle: wetter3)

Dabei sieht man eine ausgeprägte Trogachse von Skandinavien über Ungarn bis ins Mitttelmeer reichend. Diese ermöglichte auch die im Osten von Österreich seit Wochen ersehnte, leider nur vorübergehende Abkühlung nach der langen Hitzewelle. Rückseitig der Trogachse dreht die Strömung auf Nordwest, bleibt aber noch zyklonal geprägt, mit Höhenkaltluft und kräftigen Höhenwinden. In so einem Setting ist Konvektion mit Niederschlag eher zu erwarten als näher zum Höhenhoch mit wärmerer Höhenluft hin (etwa über der Schweiz oder Frankreich).

Konvergentes Windfeld am Boden

Das entscheidende Feature ist aber das Windfeld in Bodennähe („Grundschicht“).

Windfeld (Knoten und Windfiedern) am Mittwochnachmittag (GFS-Prognose vom 06z-Lauf) in 925 hPa (ca. 2500ft amsl, ca. 760m Seehöhe) über Mitteleuropa

Das rechnete bereits am Vortag, aber auch Mittwochfrüh das klassische konvergente Windfeld im Norden und Osten von Österreich. Im Donauraum weht dabei aufgrund der topographischen Umlenkung West- bis Südwestwind. Über der Böhmischen Masse Nordwestwind. Je näher zur Trogachse hin, desto höher die Labiltät und vertikale Durchmischung, wodurch sich ein beständiger Nordwestwind einstellen kann. Der Donauraum liegt schon etwas näher zum Hoch hin und topographische Ablenkungen, Kanalisierungen („Leitplankeneffekt“) sorgen dafür, dass die Windrichtung hier eine Südwestkomponente hat. Genau über dem Mühl- und Oberen Waldviertel bis ins Tullnerfeld treffen Nordwest- und Südwestwind aufeinander. Aufeinandertreffende Luft hat gar keine andere Wahl als aufzusteigen und bei günstigen, feuchten Bedingungen Wolken zu bilden. Das ist das Geheimnis des „Waldviertelexpresses“.

Radarbild und Bodenwindfeld übereinander gelegt (12.20 MESZ), Quelle: @nikzimm87 (X)

Insbesondere in den nördlichen Gutensteiner Alpen sowie im westlichen Wienerwald kommen bei solchen Wetterlagen regelmäßig ergiebige Mengen zusammen. Im Winter kann das für eine „Weiße Überraschung“ sorgen. Lee-Effekte von der Böhmischen Masse herab („Leekonvergenz“) kann ebenfalls zum konvergenten Windfeld und insbesondere zur Verstärkung über dem Tullnerfeld beitragen.

Das deutsche Lokalmodell ICOND2 hatte den Waldviertelexpress bereits am Vorabend im 12z-Lauf angedeutet. Die Schauerstraße wurde räumlich bereits gut erfasst, ebenso weitere Schauerstraßen über Tschechien.

ICOND2, einstündiger Niederschlag von Mittwoch, 24.07., 12-13 Uhr MESZ, Lauf: 23. Juli 2024, 12z
gleicher Lauf, gleicher Termin, aber vom Globalmodell EZWMF (Quelle)

In den Globalmodellen ist die linienhafte Struktur oft nicht gut aufgelöst. So auch hier, wo man stattdessen Nordstau-Niederschlag an den Alpen und Schauer vor allem im Mühl- und Waldviertel angenommen hätte. Das östliche Flachland wäre demnach fast gänzlich trocken geblieben. Wenn man sich jetzt nur eine Wetter-App oder ein Meteogramm, etwa von Wien, anschaut, hätte es den Anschein erweckt, dass der Tag großteils trocken verläuft. Das liegt daran, dass es sich bei solchen Angaben um Punktprognosen handelt, und die Umgebung nicht berücksichtigen.

Meiner jahrelangen Erfahrung nach unterschätzen die Wettermodelle systematisch die Niederschlagseffizienz dieser Bodenkonvergenzen. Sie rechnen zwar die Konvergenz selbst, aber keine Schauer oder Gewitter – oder nicht bis ins östliche Flachland reichen. Hier ist es also ratsam bei vergleichbaren Wetterlagen und Strömungskonstellationen wachsam zu sein und unter Hinzunahme von Vertikalprofilen und Lokalmodellen eher mit mehr als mit weniger Niederschlag zu rechnen.

Hinterlasse einen Kommentar