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Manchmal kommt es anders, als man denkt

Das Lokalmodell AROME vom Montag, 24.07.23, 00z-Lauf: Windböen gültig für 17 Uhr MESZ

Gestern Abend waren sich die meisten Lokalmodelle einzig, dass in der Früh eine Gewitterlinie über die Schweiz und Vorarlberg zieht, gegen Mittag Salzburg und Linz erreicht und am Nachmittag Wien. Dabei waren verbreitet Spitzen von 100-130km/h gerechnet worden, im östlichen Flachland sogar 160 km/h. Sogar das Ensemble von ICOND2 hatte im 18er Lauf noch unisono eine schwere Böenlinie für Wien vorhergesagt, im 00z-Lauf war davon nichts mehr übrig. Das Lokalmodell von Kachelmann („Super HD“) hat zwar noch eine Gewitterlinie im Osten, aber nicht mehr zusammenhängend und vor allem nach Norden hin deutlich schwächer als in den Vorläufen:

Windböen um 17 Uhr über Niederösterreich (Quelle)
Auch das Schweizer Lokalmodell hat die Linie deutlich abgeschwächt von der Intensität her (Quelle)
Unverändert stark das EZWMF-betriebene Lokalmodell mit Orkanböen für Wien (Quelle)
Auch das holländische Lokalmodell hat noch Orkanböen im Osten (Quelle), hier ausgehend von Bayern und Oberösterreich die Donau entlang rasend

Was davon wird jetzt eintreffen?

Fakt ist: Es hat heute Vormittag keine Gewitterlinie über Westösterreich gegeben, der Cluster zog südlich des Alpenhauptkamms durch, der Nordteil schwächte sich ab. Ohne existierendes System muss man die gestrigen Lösungen alle in die Tonne hauen.

Aktuell … ist im Radarloop von Deutschland am ehesten über dem Schwarzwald eine bogenförmige Gewitterlinie auszumachen.

Satellitenbild, sichtbarer Kanal, 11.45 MESZ – Quelle: CHMI

Im Satellitenbild sollte man den gelb eingekastelten Bereich die kommenden Stunden im Auge behalten, der Cluster über dem Oberrheintal wird am ehesten über Süddeutschland ostwärts ziehen und kann sich linienförmig entwickeln. Im roten Bereich befinden sich derzeit zahlreiche Superzellen, die eher alpensüdseitig bleiben und dort sehr großen Hagel, lokale Orkanböen und auch Tornados verursachen können. Vorlaufend zum gelben Cluster können aber auch im Norden bzw. Nordalpenbereich jederzeit größere Gewitterzellen entstehen, ebenso mit Großhagelgefahr.

Ob das Timing von 17-18 Uhr in Wien hält, ist damit momentan noch ungewiss, tendenziell wirds eher etwas später jetzt. Es blebt spannend.

Rückblick, 25.07.23:

Die Kehrtwende der Modelle war korrekt – es hat kein einziges System „lebend“ bis zum Alpenostrand geschafft. Nördlich der Alpen sind alle Cluster nach Osten hin eingegangen.

12z-Aufstieg von Wien, Quelle: Kachelmannwetter.com

Hochlabil, leicht gedeckelt, eher trockene Grenzschicht, stark geschert. Warum reicht das nicht? Ich hab so ein paar Vermutungen:

12z-Aufstieg aus Oberbayern

München schaute ähnlich aus, Absinkbewegungen oberhalb etwa 600 hPa, stark geschert mit über 50kt oberhalb von 600 hPa, aber dadurch auch viel Cirrusgewölk. Die Ambosswolken breiteten sich in Verlagerungsrichtung aus und killten damit ihre eigenen Aufwinde (fehlende Einstrahlung). Am längsten halten starke Aufwindbereiche durch, wenn der Zellkern am Südrand der Gewitterwolke in den wolkenfreien, erhitzten Bereich läuft, und die Ambosswolke etwa im 90-Grad-Winkel abgelenkt ist – so wie seit Tagen in Norditalien und am Balkan.

Es gab gestern den ganzen Tag über keine nennenswerten Druckanstiege mit den Gewitterclustern über dem nördlichen Alpenraum und Süddeutschland. So konnte sich auch nicht wie vor zwei Wochen ein isallobarisches Druckgefälle aufbauen, sodass sich eine Eigendynamik aus vorderseitiger Erhitzung und rückseitigem Cold Pool hätte entwickeln können.

Die Lokalmodell-Rechnungen einer Gewitterlinie waren jedenfalls ab dem Zeitpunkt schon Käse, wo über der Schweiz keine Ostwärtsverlagerung des Systems erkennbar war, sondern dieses nach Nordosten Richtung Baden-Württemberg abgezogen ist. Gewitterlinien beginnen immer zuerst als Gewittercluster, deren Starkniederschläge irgendwann so viel Kaltluft erzeugen, dass sich diese mit dem Rear Inflow Jet bogenförmig/linienhaft ausbreitet. Alternativ kann sich eine Superzelle in ein Bogenecho umwandeln, allerdings dann auf viel kleinerer Skala als die Lokalmodelle es für den Alpenostrand gerechnet haben.

Infrarot-Satellitenbild mit Wolkenobergrenzentemperaturen in Kelvin, 25.07.23, 10.15 MESZ (Quelle)

Der Gewitterbann in Wien wurde heute Vormittag dann gebrochen, weil sich die schweren Superzellen/Multizellencluster über der Alpensüdseite mit der Südwestströmung soweit nach Nordosten ausgedehnt haben, dass sie auf der bodennah einströmenden Kaltluft aufgleiten.

Ljublijana, 25.07.23, 08 Uhr MESZ

Die Alpensüdseite ist heute früh immer noch hochlabil und enorm geschert mit sehr tiefen Untergrenzen: Alle Arten von Unwettern sind möglich, inklusive Tornados.

Mitternachtsaufstieg Wien, 25.07.00 UTC

Wien ist bis 800 hPa (ca. 2km) Höhe stabil geschichtet mit einströmender Kaltluft (Westwinde), darüber noch sehr labil und stark geschert. Daher reicht es auch heute Vormittag noch für einzelne Blitzentladungen im Osten.

Tornados in Österreich sind nicht neu!

Das ist mir noch ein Anliegen, daher bau ich das jetzt noch ein: In Social Media häufen sich schon wieder Aussagen wie „Jetzt gibt es auch noch Tornados in Österreich, ein weiterer Beleg für die Klimaerwärmung!“

Die Unwetterdatenbank (eswd.org) des ESSL in Wiener Neustadt mit den zwischen den Jahren 2000 und 2012 aufgetretenen Tornadofällen und jeweiligen Intensitäten (F5-Tornado ist in dem Zeitraum keiner aufgetreten), Quelle: European Commission (2013)

In Österreich treten pro Jahr 6-8 Tornados auf:

Tornadoereignisse in Österreich seit dem Jahr 1900, Quelle: Skywarn Austria

Der stärkste dokumentierte Tornado in Österreich trat 1916 in Wiener Neustadt auf, ein starker F4-Tornado mit 34 Toten und über 300 Verletzten. Inneralpin sind Tornados deutlich seltener und meistens schwächer, es gab aber auch in Ellmau im Tiroler Unterland am 25. August 2012 einen F2-T5-Tornado.

Tornados hat es also schon immer gegeben. Starke Tornados gibt es mit Ausnahme von Winterstürmen nur mit rotierenden Gewitterwolken. Die Bedingungen für Gewitter sind Feuchte, Labilität und Hebung, für rotierende Gewitterwolken braucht es zusätzlich starke Richtungs- und Geschwindigkeitsänderungen mit der Höhe – für starke Tornados braucht es zusätzlich starke Winde in Bodennähe. Und diese Wetterkonstellationen sind weiterhin sehr selten, in der Poebene rein statistisch noch häufiger als im Alpenraum.

Bei Starkregen, Häufigkeit von Großhagel, Hitzewellen, Dürren müssen wir gar nicht diskutieren – der Zusammenhang zur Erderhitzung ist klar. Bei Tornados gibt es noch keinen klaren Trend. Es wird aber jährlich zum Trend gemacht, weil das Langzeitgedächtnis vieler Menschen schlecht ist und über das, was klimatisch bei uns möglich ist, nicht angemessen aufgeklärt wird. Wie bei der Pandemie ist auch Prävention in Österreich unterrepräsentiert. Bei Unwetterwarnungen wird das Fernseh- und Radioprogramm nicht oder selten unterbrochen. Zivilschutzalarm fehlt, die Online-Medien, allen voran der ORF, müssten breite Banner mit Unwetterwarnungen haben, in den 20-120 Sekunden Wetterbericht schafft man kaum vernünftige Informationen, die auch erzieherischen Effekt haben – sprich: erklären, warum und wie etwas entsteht, welche Auswirkungen es hat und wie man sich schützen kann, aber auch, wie man etwas interpretieren muss – gerade im Hinblick auf die Wetterapps (mehr dazu hier).

PS: Zu guter Letzt: Wettervorhersagen kritisieren will gelernt sein.