„Heat dome“: Das Hitzehoch als Folge der Erderhitzung

Prognosekarte für die mittlere Troposphäre (500 hPa, ca. 5,5km Höhe) für Dienstagabend, 18. Juli 2023 mit Darstellung der Höhendruckgebiete (500 hPa) und Bodendruckgebiete (Isobaren) – Um die Nordhalbkugel verlaufen mächtige Höhenrücken mit über 584gpdm, über dem westlichen Mittelmeer bis knapp 600gpdm (oberer Rand der Skala), die Tiefdruckgebiete sind dazu vergleichsweise schwach ausgeprägt. Im Bereich der Höhenrücken kommt es seit Tagen (Wochen) zu Hitzerekorden und überwärmtes Oberflächenwasser der Ozeane.

Die Tagesschau titelte auf ihrer Webseite vor wenigen Tagen folgende Schlagzeile:

Seit einigen Tagen herrschen im Süden Europas extrem hohe Temperaturen. Heute gab es eine kleine Verschnaufpause, doch die währt wohl nur kurz: Denn Meteorologen haben schon die nächsten Hochdruckgebiete ausgemacht.

Tagessschau, Die nächste Hitzewelle ist schon in Sicht, 16.07.23

Ich könnte jetzt einen weiten Bogen schlagen von mangelnder wissenschaftlicher Bildung über jahrzehntelange Versäumnisse in der „Weather Literacy“ (analog zur Health Literacy) bis hin zur journalistischen Verknappung von Aspekten der Meteorologie, die aber für das weitreichende Verständnis der tiefgreifenden Klimaveränderung notwendig sind.

Hoch ist nicht gleich Hoch

Sagen wir der Einfachheit halber einmal, dass Hoch nicht gleich Hoch ist. In der Meteorologie unterscheiden wir das Bodenhoch (Angabe in hPa, Isobaren) und das Höhenhoch (Angabe in geopotentielle Dekameter, gpdm). Ist die Zirkulation nicht abgeschlossen, spricht man von Keil oder Trog, in der Höhe auch von einem Rücken. Das Verständnis der Allgemeinbevölkerung – da reden wir jetzt nicht von Ballonfahrern, Segelfliegern oder Linienpiloten – ist seit jahrzehnten auf das Geschehen am Boden fokussiert.

Klassische Bodenwetterkarte mit Wetterbeobachtungen, Hoch- und Tiefdruckgebieten sowie Lage der Fronten, Quelle: DWD/wetter3.de

Das ist nachvollziehbar: Wir halten uns die meiste Zeit da auf – was in der Höhe passiert, muss uns nicht weiter beschäftigen. Aber ist das so? Die obige Bodenwetterkarte, die sich auch in manchen Print-Zeitungen noch findet, ist das Ergebnis von Strömungskonstellationen in der Höhe. Das Wetter wird in der Höhe gemacht – die Druckgebiete am Boden reagieren darauf. Im Sommerhalbjahr kommt der Einfluss der Sonneneinstrahlung und Vegetation (Evapotranspiration: Verdunstung und Feuchtezufuhr) verstärkt dazu und die Rückkopplung fällt stärker aus als im Winterhalbjahr. Je schwächer die Höhenströmung, desto stärker der Einfluss von dem, was „unten“ passiert.

Wenn die Tagesschau nun von Hochdruckgebieten schreibt, dann denken die meisten Leser nun an ein Hochdruckgebiet am Boden. Zwar zeigt die Bodenwetterkarte viele H’s im Mittelmeerraum, das sind aber nur relative Maxima in der Umgebung. Ein nennenswertes Hochdruckgebiet mit abgeschlossener Isobare gibt es nur über Deutschland (1020 hPa). Sonst sind die Luftdruckdifferenzen am Boden ausgesprochen gering. Selbst das Azorenhoch ist durch Tropensturm DON unterbrochen.

Gleiche Karte wie oben, nur für Nordatlantik und Europa, rechts die Temperaturanomalie in 850 hPa (ca. 1,5km Höhe) vom 30jährigen Mittel 1981-2010, Quelle: wetterzentrale.de

Entscheidend ist hier aber nicht der Luftdruck am Boden, sondern in der Höhe und da reicht ein Höhenrücken mit fast 600 gdpm bis in den nördlichen Mittelmeerraum. Er führt zum Einen aus Nordafrika extrem heiße Luft heran und sorgt über der Iberischen Halbinsel für eine veritable Hitzewelle. Damit liegt die Temperatur über 10 Grad über dem langjährigen Mittel.

Was passiert in einem Höhenhoch? Die Luft sinkt großräumig ab und erwärmt sich dabei trockenadiabatisch, das heißt mit 1 Grad pro 100m. Mit dem Absinken wird sie auch trockener – der Feind jeder potentiellen Niederschlagsbildung.

Trajektorienmodell für Sizilien für verschiedene Höhen: Die Luft zirkuliert antizyklonal um den Hochdruckkern und sinkt dabei aus großen Höhen ab.

Ich bediene mich des Fazits von DWD-Meteorologe Adrian Leyser, der auf Twitter (@TheNimbus) diese Grafik gebracht:

„Die Hitze ist „hausgemacht“ und nicht durch herangeführte Luftmassen zustandegekommen. Diese Form der Hitzewellen scheinen zugenommen zu haben aufgrund der beständigen Wettersysteme. Sie können viel intensiver sein als Hitze, die durch Luftmassentransport dominiert wird. Kommen beide Prozesse zusammen, wird es besonders dramatisch.

Die Grafik (Quelle) bestätigt mein synoptisch gewürztes Bauchgefühl: Das 500 hPa Geopotential – hier gerechnet für 18. Juli 2023, 02 MESZ – ist rekordhoch.

Conclusio:

Wir haben gelernt, dass es sowohl ein Bodenhoch gibt, das in Bodenwetterkarten eingezeichnet wird, als auch ein Höhenhoch, das durch großräumiges Absinken an der Keilvorderseite (östlich der Keilachse) für Abtrocknung und Erwärmung sorgt. An der Keilrückseite (westlich der Keilachse) wird wärmere Luft zugeführt. Die Hitze über dem zentralen Mittelmeerraum ist überwiegend hausgemacht durch starkes Absinken an der Keilvorderseite.

Vertikalprofil, repräsentativ für den zentralen Mittelmeerraum:

Wetterballonaufstieg vom 18. Juli 2023, 02 Uhr MESZ an der Südküste von Sardinien, Decimomannu, Links ist der Taupunkt (grün), rechts die Temperatur (rot) dargestellt. Je größer die Differenz (Spread), desto trockener die Luft in dieser Höhe.
Quelle: Kachelmannwetter

Am Boden gibt es ganz dünne, sehr feuchte Schicht bei rund 27°C Lufttemperatur und 23°C Taupunkt. Das bedeutet extreme Schwüle selbst in der Nacht und eine erhebliche Belastung für Mensch und Tier. Darüber ist die Luft sehr trocken und fast durchwegs trockenadiabatisch geschichtet bis ca. 530 hPa Höhe. Aufstiege in der Wüste sehen oft ähnlich aus. Darüber ist die Schichtung deutlich stabiler, aber ebenfalls trocken. Die enorme Labilitätsfläche (rötlich) kann nicht freigesetzt werden, da es zu trocken für Quellwolkenbildung ist und kein Hebungsantrieb vorhanden ist durch das starke Absinken.

Und das ist zugleich das Problem: Der „heat dome“ verhindert jegliche Niederschlagsbildung. Dafür verschärfen sich an den Rändern die Windgeschwindigkeiten und das kann man gemeinsam mit genügend Labilität zu Unwettern führen, so wie am 11./12.07.23 mit dem großen Gewittercluster über dem Alpenraum und verbreitet Orkanböen für mehrere Stunden, ebenso die Serie an Gewitterzellen mit Riesenhagel (8-13cm).

In St. Marxen, Unterkärnten hat ein Microburst der Superzelle vom 17.07.23 den 750 Jahre alten Kirchturm abgetragen.

So auch am heutigen 18.07.23:

Visuelles Satellitenbild, 18.07.23, 15.45 MESZ (Quelle)

Über Südeuropa heiß und gewitterfrei, entlang von Nord- und Ostsee kühles Sommerwetter mit 17-20°C. Nördlich der Alpen „normale“ Sommerwärme mit 25 bis 30 Grad. Unmittelbar am Nordrand des Hitzedoms herrscht in der Höhe eine straffe Westströmung, darin eingelagert hat sich ein Gewittersystem gebildet, das über den Alpen linienhaft ost- und südostwärts zieht. Innsbruck-Flughafen meldete um ca. 15.30 Spitzenböen bis 161 km/h.

Die Rekorde der letzten Tage aufzuzählen würde den Rahmen des Artikels sprengen.

Am 11. Juli stellte der Sonnblick (3109m) mit 15,7°C einen neuen Allzeitrekord in der 137jährigen Messgeschichte auf. Von 120 Tagen über 12 Grad seit dem Jahr 1900 wurde die Hälfte seit 2010 gemessen: Die Gletscherschmelze und Permafrosttauwetter beschleunigen sich, damit wird es auch immer häufiger Felsstürze geben.

Unter dem Hitzedom häufen sich nicht nur tropische Nächte (> 20°C), sondern auch äquatoriale Nächte (> 25°C). Der menschliche Kreislauf kann sich immer kürzer und weniger erholen (geschrieben bei aktuell 28.6°C und 42% relative Feuchte im Wohnzimmer). Die Hitze gefährdet unsere Lebensgrundlagen. In Spanien wird die Olivenernte 2023 um 40% geringer ausfallen, in Italien 10% weniger Milchproduktion aufgrund des Hitzestress der Tiere. In Wien waren die Wiesen noch Anfang Juni saftig grün nach mehreren Starkregenereignissen. Nun Mitte Juli ist wieder alles braun, das Gras wird zu Stroh. Grün ist nur noch die Mäuse-Gerste, deren Grannen Widerhaken besitzen und sich im Fell von Tieren verhaken können. Kleinere Bäche trocknen ganz aus, die Flüsse führen Niedrigwasser. In zwei Drittel der Bezirke von Niederösterreich gilt derzeit die Waldbrandverordnung, in Wien seit gestern an allen öffentlichen Grillplätzen ein Grillverbot. Die Vegetationszonen verschieben sich nach oben und bedrohen die seltene Alpenflora, die nicht konkurrenzfähig ist. Infektionskrankheiten werden massiv zunehmen und erste Regionen Mitteleuropas werden wohl noch in diesem Jahrzehnt die ersten Infektionen mit Dengue, Chikungunya oder Zika erleben.

Während mir die Hitze grad das Hirn wegbrät, bring ich noch einen Gedanken unter, woran man merkt, dass das nicht mehr normal ist: Früher (vor ca. 2015) herrschte bei Hitze meist lebhafter Südostwind am Alpenostrand, es war föhnig, dann gabs vor der Kaltfront schwere Gewitter mit Druckwelle, am nächsten Tag war es merklich kühler und von Südwesten her zogen weitere Gewitter durch, während sich am Boden bereits die stabilere Luftmasse durchsetzte. Manchmal stellte sich das Wetter noch nachhaltig um zu kühlem und unbeständigem Wetter.

Jetzt ist es wochenlang heiß und/oder trocken und die Kaltfronten ziehen ausschließlich konvektiv durch, aber oft nur punktuell mit starken Niederschlägen, die in viel zu kurzer Zeit fallen, um in den ausgetrockneten, steinharten Boden eindringen zu können. Es fehlt der klassische „Landregen“, aber auch Clusterniederschlag wie am 11./12.07.23, der lange genug andauert und auch den Osten und Süden erreicht, sodass nennenswerte Mengen zusammenkommen können. Die Kaltfrontrückseiten bringen keine wirkliche Abkühlung mehr. Ja, von 37 auf 27 ist auch kühler, aber immer noch zu warm, um die Wohnung gescheit durchzulüften.

Updates…

  • Rom mit neuem Extremwert: 42,9°C (alter Rekord 40,9 von 2022)
  • Am Brennersee schwere Downburst-Schäden (F2+)
  • Stationsrekorde: Haiming 113 km/h, Umhausen 103 km/h, Gröbming 118 km/h

Ein Gedanke zu „„Heat dome“: Das Hitzehoch als Folge der Erderhitzung

  1. Avatar von Franz ZeilerFranz Zeiler

    Mithilfe der Attributationsforschung, die du in deinem letzten Beitrag erwähnt hast, sollen derartige Extremwetterereignisse einer Ursache zugeordnet werden. Die anthropogen verursachte Erderwärmung ist natürlich der erste Kandidat.
    Andererseits haben sich im äquatorialen Pazifik El-Nino Bedingungen eingestellt. Das warme Oberflächenwasser führt zu einem Wärmeeintrag in die Atmosphäre. Die Fernwirkung auf das Wetter im Nordatlantik und EU ist nach wissenschaftlicher Kenntnis schwach und noch wenig erforscht. Auswirkungen auf das Zirkulationbsmuster des Jetstreams sind aber nicht ausgeschlossen. So soll El-Nino etwa die nordatlantische Hurrikansaison abschwächend beeinflussen. Möglicherweise droht uns auch der nächste niederschlagsarme Mildwinter.

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